Zahl der Herzkrankheiten nimmt wieder zu

München – Kardiologen sorgen sich um eine Zunahme der Herz-Kreislauferkrankungen. Nach einem starken Rückgang von Todesfällen um fast die Hälfte seit 1990 steige die Zahl seit 2015 wieder leicht an, sagte die Chefärztin der Kardiologie am Klinikum München-Bogenhausen, Ellen Hoffmann.

Der Fortschritt der Medizin bei der Öffnung verstopfter Adern, Herzschrittmachern, implantierbaren Defibrillatoren und künstlichen Herzklappen sei an eine Grenze gelangt. Zudem werde die Bevölkerung immer älter, sagte Hoffmann. «Wir brauchen nun vor allem bessere Prävention.» Weiterhin seien Herz-Kreislauferkrankungen mit einem Anteil von mehr als 38 Prozent die häufigste Todesursache in Deutschland.

Vor allem Vorhofflimmern nimmt rapide zu. Dabei funkt das Herz falsche Signale – die Folge ist plötzliches Herzrasen. Schon jetzt seien zwei Prozent der Menschen zwischen 50 und 60 Jahren von dieser Art der Rhythmusstörung betroffen, sagte Hoffmann. «Es ist eine Volkskrankheit.» Bei den über 75-Jährigen seien es zehn Prozent. «Das heißt, dass das Vorhofflimmern mit der Lebenserwartung steigt.» Aber: «Es geht linear nach oben – so stark nimmt die Lebenserwartung nicht zu.» Bis 2060 rechnen die Mediziner mit fast einer Verdoppelung der Fälle.

Viele hätten zwar ein hohes Gesundheitsbewusstsein und es werde weniger geraucht, so Hoffmann. Dennoch machten immer mehr Menschen Übergewicht, Diabetes, Bewegungsmangel und Bluthochdruck zu schaffen. «Diese Risikofaktoren nehmen zu.» Schon jetzt kämen rund 300.000 Menschen pro Jahr wegen Vorhofflimmern ins Krankenhaus; es sei in Kliniken die vierthäufigste Hauptdiagnose. Das plötzliche Herzrasen sei zunächst nicht lebensbedrohlich. Häufig seien die Patienten jedoch in der Lebensqualität beeinträchtigt. Vor allem aber steige das Schlaganfallrisiko. Etwa ein Drittel aller Schlaganfälle könnte auf Vorhofflimmern zurückgehen.

Vielfach bleibe die Erkrankung unerkannt, sagte Hoffmann. «Viele Betroffene wissen gar nichts davon.» Die Rhythmusstörung tritt nur gelegentlich auf – und gerade beim Arztbesuch schlägt das Herz womöglich normal. Hier schaffen Smartphone-Apps und Cardio-Uhren neue Möglichkeiten. Manche Patienten kämen schon mit selbst erstellten Messreihen. «Das ist ein großer Trend. Es bringt zum Beispiel für Patienten etwas, die Beschwerden haben, bei denen die Rhythmusstörung aber noch nicht genau diagnostiziert ist. Oder nach einem Schlaganfall, für den Vorhofflimmern als Ursache in Frage kommt.» Für weniger technikaffine Patienten gebe es implantierbare EKG-Rekorder.

Die Behandlung ist Hoffmann zufolge bis heute nicht einfach. Medikamente zur Blutverdünnung mindern vor allem das Schlaganfallrisiko und können damit das Leben verlängern. Darüber hinaus können mit einem über die Leistenvenen eingeführten Katheter bei einem Eingriff (Ablation) die falschen Impulse im Herz unterbunden werden. Eine Studie mit mehr als 2200 Patienten brachte aber laut Hoffmann ein teilweise ernüchterndes Ergebnis: Der Eingriff mindere zwar die Beschwerden, erhöhe aber nicht die Lebenserwartung.

Eine simple Therapie ist bei manchen Patienten der Verzicht auf Alkohol. Unter dem Schlagwort Holiday-Heart-Syndrom war die einschlägige Wirkung vor allem von Rotwein aufs Herz bereits bekannt. Eine Studie auf dem Oktoberfest ergab im vergangenen Jahr, dass schon junge Besucher nach erheblichem Biergenuss Rhythmusstörungen hatten. «Alkoholkonsum kann eine Rolle spielen», sagte Hoffmann. «Patienten berichten, dass sie vier bis fünf Stunden nach dem Konsum wach werden und das Herz schnell und unregelmäßig schlägt.»

Beim
Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) wollen vom 25. bis 29. August 31.000 Teilnehmer aus 150 Ländern in München über Entwicklungen ihres Faches diskutieren. Hoffmann und ihr Team organisieren dabei einen Informationstag für die Öffentlichkeit.

Drei Wochen nach dem Kardiologenkongress beginnt wieder das Oktoberfest. Das Herzrasen nach der Wiesnmaß sei allerdings nicht das ganz große medizinische Thema auf dem Volksfest. Das seien wohl eher Schlägereien, andere Verletzungen und Alkoholvergiftungen, so Hoffmann. Vorhofflimmern sei jedenfalls kein Grund, sich nicht auf das Volksfest zu freuen.

Fotocredits: Christin Klose
(dpa)

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