Berlin – Die Bundesumweltministerin spricht oft über Klimawandel, aber diese Zahlen lassen auch Svenja Schulze betroffen wirken: Um rund 1,5 Grad sei es schon wärmer geworden seit 1881, erklärte die SPD-Politikerin, alleine in den vergangenen fünf Jahren um 0,3 Grad.
Ein gut 270 Seiten dicker
Bericht der Bundesregierung trägt zusammen, was das für Bauern und Städter, Allergiker, Küstenbewohner oder Autofahrer bedeutet. «Es ist nicht auszudenken, was es bedeuten würde, wenn sich das in dieser Geschwindigkeit wirklich fortsetzen würde», sagte Schulze. Die Antwort müsse heißen: «Viel mehr Klimaschutz, und zwar weltweit.»
Klimaschutz erhöht langfristig die Lebensqualität
Ein Report der Vereinten Nationen zeigt, dass der Weg dahin noch weit ist: Wenn die Weltbevölkerung so weiterlebe wie aktuell, drohe die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 3,4 bis 3,9 Grad zu steigen, teilte das UN-Umweltprogramm Unep mit. Am 2. Dezember beginnt die UN-Klimakonferenz. Sie wolle dafür kämpfen, dass die EU vorangehe und ihre Klimaschutz-Ziele verschärfe, sagte Schulze. Das erhöhe auch die Lebensqualität, wenn man sich klar mache, was ein ungebremster Klimawandel bedeute.
Denn selbst wenn es gelingt, die globale Erderwärmung wie im Pariser Klimaabkommen angepeilt auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, wird sich das Klima – und damit auch das Wetter – weiter verändern. Ein paar Fakten, die der Regierungsbericht zusammenstellt:
– Das Jahresmittel der Lufttemperatur ist im Flächenmittel von Deutschland von 1881 bis 2018 um 1,5 Grad Celsius angestiegen – global ist es in dieser Zeit im Mittel rund 1 Grad wärmer geworden.
– Die Zahl der heißen Tage mit 30 Grad und mehr nimmt zu: Seit 1951 von etwa drei pro Jahr auf derzeit rund zehn. Mehr als zehn gab es vor 1994 nie, 2018 waren es mehr als 20. Die Sommer 2003, 2018 und 2019 waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen.
– Seit 1881 hat die mittlere jährliche Niederschlagsmenge um 8,7 Prozent zugenommen. Es sind Tendenzen zu mehr Starkniederschlägen in den letzten 65 Jahren zu erkennen, aber aufgrund der Datenlage können die Experten dazu noch keine statistisch gesicherten Aussagen machen.
Auswirkungen auf das heimische Klima
«Der Klimawandel hat Deutschland im Griff», sagte Tobias Fuchs vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Dürren, Hitzewellen und Starkregen dürften zunehmen. Wenn es weitergehe wie bisher, müsse man mit einem weiteren Temperaturanstieg von 3,1 bis 4,7 Grad in Deutschland bis Ende des Jahrhunderts rechnen – eine Zeit, die Kinder von heute noch erleben können. «Eine konsequente Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen kann den weiteren Anstieg auf etwa 0,9 bis 1,6 Grad bremsen.»
Nicht immer sei klar, welchen Anteil der Klimawandel an einzelnen Veränderungen habe, denn es spielten verschiedene Faktoren zusammen, räumen die Autoren des Berichts ein, an dem Bundes- und Landesbehörden, Universitäten und Fachverbände mitgearbeitet haben. Trends sind demnach aber klar erkennbar.
– Gesundheit: «Hitzestress» setzt vor allem Älteren, Kranken und Kindern zu. In Jahren mit vielen Hitzetagen sterben mehr Menschen, als statistisch normal wäre: 2003 gab es etwa 7500 Todesfälle mehr. Das Klima beeinflusst, wann und welche Pollen fliegen. Die machen Allergikern Probleme. Dass sich etwa die Pflanze Beifuß-Ambrosie ausbreite, werde «in erheblichem Maße auch mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht». Ähnliches gilt für Stechmücken, Zecken und Krankheitserreger. Die Asiatische Tigermücke etwa könne über 20 unterschiedliche Viren übertragen. Funde von Eiern und Mücken im Oberrheingebiet hätten «deutlich zugenommen», schreiben die Experten.
– Wasser: Deutschland ist ein wasserreiches Land. Aber: Monate mit unterdurchschnittlichen Grundwasserständen werden häufiger, vor allem im Nordosten. An 80 Pegeln ist im Sommerhalbjahr der Rückgang der mittleren Abflusshöhe signifikant – die Flüsse führen weniger Wasser. Seen werden wärmer, mit Folgen für Tiere und Pflanzen. Am Bodensee betrug der Anstieg in der Saison März bis Oktober zwischen 1971 und 2017 rund zwei Grad. Auch Nord- und Ostsee erwärmen sich – und die Meeresspiegel steigen. Damit nimmt die Gefährdung durch Sturmfluten zu. Zudem erodieren Küsten, vor allem Bade-Sandstrände mit Brandung.
– Städte: Städte bilden «Wärmeinseln», es wird heißer als auf dem Land. Starkregen kann in zugebauten Regionen schlecht ablaufen, immer wieder laufen Gullys über, weil die Kanalisation das Wasser nicht so schnell aufnehmen kann. Stadtplaner und Architekten sollten etwa auf Grünflächen als «kühlende Oasen», gut isolierte Häuser und auf Pflanzen an Fassaden und auf Dächern setzen, heißt es im Bericht.
– Verkehr: Hoch- und Niedrigwasser auf Flüssen machen Schiffen Probleme. 2018 transportierten Binnenschiffe 11,1 Prozent weniger als im Vorjahr. Aber auch Autofahrer sind betroffen: «Für die winterlichen Gefahren wird dabei für die Zukunft allgemein von einer Abnahme ausgegangen, während es in Frühjahr, Sommer und Herbst u. a. infolge größerer Hitze und vermehrter Starkregen häufiger zu Unfällen kommen könnte», heißt es im Bericht.
– Arbeit: Hitze senkt die Leistungsfähigkeit und steigert die Gefahr von Unfällen. Studien nehmen laut Bericht für hohe Hitzebelastung in Mitteleuropa Produktivitätsabnahmen um drei bis zwölf Prozent an. Demnach arbeiten bis zu drei Millionen Menschen überwiegend oder zeitweise im Freien, wo sie dem Wetter besonders ausgesetzt sind. Sie erbringen «geschätzte 10 bis 15 Prozent der Wertschöpfung der Volkswirtschaft» – hauptsächlich in der Landwirtschaft und der Baubranche, aber auch in der Industrie und im Dienstleistungssektor.
– Landwirtschaft: Landwirte sind vom Klimawandel besonders betroffen, wenn etwa Dürre die Ernte vertrocknen lässt oder Futter knapp wird. Wenn Apfelbäume früher blühen, kann es Spätfrostschäden geben. Das sich ändernde Wetter könne sich aber auch positiv auswirken, denn die Vegetationsperiode werde länger.
– Wälder: Manche Baumarten kommen mit Dürre und Hitze nicht klar – die Fichte etwa stehe gerate unter Druck, schreiben die Experten. Insekten wie Borkenkäfer und Krankheitserreger könnten sich ausbreiten. Es werde aber über eine zunehmende Waldbrandgefahr diskutiert, «denn in den kritischen Monaten wird es wärmer und trockener.»
Fotocredits: Bodo Marks
(dpa)