Frankfurt/Main – Wie kann man Menschen helfen, die nicht mehr leben wollen? Die Psychiaterin Christiane Schlang forscht an der Universität Frankfurt zum Thema Suizidprävention und sagt: «Im Vordergrund steht häufig nicht der Wunsch zu sterben, sondern die Vorstellung, so wie bisher nicht weiterleben zu können.»
Und mehr als 90 Prozent der Suizide geschehen vor dem Hintergrund von Erkrankungen, die behandelt werden können. Gerade bei Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sei der Weg in den Suizid keine rationale Entscheidung, sondern ein Symptom der Erkrankung. Hilfe sei daher möglich, sagte die Expertin im Vorfeld des Welttags der Suizidprävention am 10. September in einem dpa-Themendienst-Gespräch.
Anzeichen erkennen
Bei vielen Menschen, die sich über einen möglichen Suizid Gedanken machen, gibt es Anzeichen dafür. Zwar kündigten die wenigsten offen ihre Absichten an, erklärte Schlang. Viele geben aber indirekte Hinweise und äußern zum Beispiel Gefühle von Hoffnungslosigkeit: «Es hat ja alles keinen Sinn mehr.» Hier könne es hilfreich sein, sensibel auf solche Äußerungen zu reagieren.
Allerdings könne niemand eine Suizidhandlung genau vorhersehen. Manche Betroffene handelten aus einem Impuls heraus oder zeigten nach außen hin überhaupt keine Anzeichen. Und wer fest zum Suizid entschlossen ist, wirke oft ruhiger und weniger verzweifelt. Mitmenschen könnten dann zu dem trügerischen Schluss kommen, es «gehe wieder aufwärts».
Fragen schadet nicht
Wichtig sei es, Anzeichen oder Andeutungen ernstzunehmen und das Gespräch zu suchen. Manche Angehörige scheuen das – weil sie vermuten, dass die Frage nach dem Gefühlszustand die Betroffenen in ihren Suizidabsichten noch bestärkt. Das sei aber nicht der Fall, sagte Schlang: «Im Gegenteil, viele Betroffene verspüren ein Gefühl der Erleichterung, wenn sie über ihre Gedanken und Gefühle sprechen können. Sie wissen dann, dass sie nicht allein sind.»
«Man sollte aufmerksam zuhören: fragen statt sagen», rät Schlang. Sinnvoll sei, dabei die Formulierungen des Betroffenen aufzugreifen und beispielsweise zu sagen: «Du hast geäußert, dass du keinen Ausweg mehr siehst, das macht mir Sorgen.»
Zeit gewinnen
«Nicht hilfreich ist es, der Person Vorwürfe zu machen oder zu versuchen, jemandem die Pläne mit pauschalisierenden Aussagen ausreden zu wollen. Angehörige sollten vielmehr versuchen, die Gefühlswelt ihres Gegenübers nachzuvollziehen», rät die Expertin.
Empfehlenswert sei es auch, Betroffene zu fragen, wie akut sie ihren Handlungsdruck empfinden. Mit Fragen wie «Kannst Du Dir noch ein bisschen Zeit geben, um einen anderen Ausweg aus der Krise zu finden?» könnten Angehörige außerdem signalisieren, dass sie der Überzeugung sind, dass es eine andere Lösung als die Selbsttötung gibt und Betroffene dadurch bewegen, ihre Absichten zu überdenken und sich Unterstützung zu holen.
Hilfe finden
Angehörige sollten die Betroffenen außerdem motivieren, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. «Es ist wichtig, die eigenen Kapazitäten zu kennen», sagte Schlang. Allerdings sei es oft eine große Herausforderung, Suizidgefährdete davon zu überzeugen, dass sie solche Hilfe brauchen.
Es gibt ein breites Angebot an Behandlungsangeboten, das von ambulanten Angeboten und anonymer Beratung per Telefon oder online bis hin zu stationären Therapien reicht. «Wer sich Hilfe sucht, hat noch nicht aufgegeben», sagte Schlang.
Zur Person: Christiane Schlang forscht an der Universität Frankfurt
Fotocredits: Victoria Bonn-Meuser
(dpa/tmn)