Wandel in der Apothekenbranche – Profitieren Verbraucher?

Berlin – Deutschlands Apothekenbranche ist verschnupft. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Oktober stärkt die ausländische Online-Konkurrenz. Die 20 000 Apotheken vor Ort geraten daher in Bedrängnis. Das Bundesgesundheitsministerium will Schlimmstes verhindern. Ein Überblick.

Was ist das Grundproblem?

Der Online-Handel von Apotheken hat in Deutschland zwei Gesichter:  Während das Internet-Geschäft mit Schönheitscremes oder Schwangerschaftstests wächst, schwächelt der Absatz verschreibungspflichtiger Mittel – sogenannter Rx-Präparate. Laut Marktforschungsinstitut IMS Health wuchs der Internetabsatz rezeptfreier Präparate 2015 in Deutschland um sieben Prozent, während es bei Rx ein Minus von 14 Prozent gab. Ein Grund: Im Netz gab es keine Preisvorteile für Asthmasprays, Blutdrucksenker oder Anti-Krebs-Mittel. Solche Medikamente kosteten in Deutschland überall das gleiche, egal ob im Internet oder in stationären Apotheken.

Was besagt das EuGH-Urteil?

Bis 2012 hat der Online-Händler DocMorris Kunden Gutschriften für eingereichte Rezepte erteilt. Wer also sein Rezept eingeschickt hat, wurde weniger stark belastet als in der Apotheke um die Ecke. Das verbot die Bundesregierung, denn Rx-Medikamente waren dadurch nicht mehr überall gleich teuer. Die EU-Richter grätschten nun dazwischen, sie halten die deutsche Gesetzgebung für einen unangemessenen Eingriff in den EU-Binnenmarkt. Ausländische Online-Händler wie DocMorris und Europa Apotheek führten ruckzuck wieder das Bonussystem ein, Kunden werden bei der Rezeptgebühr so um mindestens 2 Euro pro Medikament entlastet.

Wie reagierten Online-Händler und der Apothekerverband?

Der Apothekerverband Abda warnt, nationale Gesundheitssysteme seien in Gefahr. Der EuGH verschaffe «ausländischen Versandanbietern einen nicht nachvollziehbaren und völlig ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil», empört sich Abda-Präsident Friedemann Schmidt. DocMorris-Chef Olaf Heinrich sagt hingegen, durch das EuGH-Urteil sei für seine Firma mit zuletzt rund 300 Millionen Euro Jahresumsatz nur ein Nachteil ausgeglichen worden. «Zwischen dem Einreichen des Rezepts und dem Erhalt des Medikaments vergehen durch den Postweg zwei Tage – diesen Nachteil gegenüber stationären Apotheken müssen wir über die Boni aus der eigenen Marge ausgleichen.»

Werden die Arzneimittelpreise nun insgesamt fallen?

Nein. Zum einen bleiben die Preise von Herstellern und Großhändlern unangetastet vom Urteil, die müssen die Versicherten aber ohnehin nicht direkt schultern. Zudem bleibt der Thekenpreis in stationären Apotheken und bei Versandhäusern mit Sitz in Deutschland gebunden, sie dürfen nur drei Prozent des Einkaufspreises plus 8,35 Euro pro Packung oben drauf berechnen. Wettbewerb gibt es beim Rx-Preis unter Vor-Ort-Apotheken also nicht, nur über frei verfügbare Cremes, Gesundheitsbooster und andere Präparate machen sie sich Konkurrenz.

Wie hat die Bundesregierung reagiert?

Verschnupft. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warnte vor negativen Folgen für die Verbraucher – etwa wenn die Apotheke um die Ecke dicht macht, weil Patienten ihre Rezepte an die Online-Konkurrenz schicken. Dadurch könnten sich Wege zu Apotheken verlängern. Man werde «das Notwendige und das Mögliche tun, damit die flächendeckende Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau durch ortsnahe Apotheken weiterhin gesichert bleibt», heißt es aus dem Ministerium. Die Behörde erarbeitet derzeit ein Gesetz zum generellen Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Mitteln. Das wäre schlecht für DocMorris und Europa Apotheek sowie für die 200 deutschen Versandapotheken. DocMorris droht schon jetzt mit Klage.

Werden Online-Bestellungen wirklich verboten?

Es ist sehr fraglich, ob die Verbotspläne Gesetz werden. Selbst von der SPD kam Kritik, deren Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnt das Verbot ab – aus seiner Sicht ist die Möglichkeit zu Bestellungen im Internet doch gerade in ländlichen Regionen wichtig.

Wie ist die Sicht von Rechtsexperten?

Eine einheitliche Meinung gibt es nicht. Der Göttinger Juraprofessor Ivo Bach hält solch ein Rx-Onlinehandel-Verbot für europarechtswidrig. Zwar hatte der EuGH in einem Urteil aus dem Jahr 2003 zu DocMorris ein nationales Verbot für möglich erklärt, die Bedingungen hierfür seien aber überholt – etwa dass es im Online-Versand zu Schwierigkeiten bei der Echtheitsprüfung der Rezepte kommen könnte. Solche Probleme gebe es aber offenbar nicht.

Wettbewerbsrechtler Stephan Waldheim von der Kanzlei Bird & Bird ist anderer Ansicht. «Die Chancen von Gröhe auf ein rechtskonformes Gesetz stehen gar nicht so schlecht», sagt er. Waldheim verweist ebenfalls auf das EuGH-Urteil von 2003, in dem der Verbraucherschutz als legitime Begründung für ein mögliches Rx-Online-Verbot genannt wurde. Soll heißen: Wenn nachgewiesen würde, dass die flächendeckende Versorgung vor Ort in Gefahr ist, wäre das ein legitimer Anlass zum Handeln per Gesetz – dieser Nachweis sei aber entscheidend, sagt Waldheim. «Das ist eine große Herausforderung für den Gesetzgeber.»

Was sagen Verbraucherschützer?

Kai Helge Vogel von der Verbraucherzentrale Bundesverband wertet das EuGH-Urteil grundsätzlich positiv. «Die Versicherten können jetzt etwas sparen.» Gesetzlich Versicherte zahlen in Deutschland pro Rezept fünf bis zehn Euro zu, diese Kosten sinken über den Online-Bonus. Das pauschale Rx-Versandhandelsverbot lehnt er als «Schnellschuss» ab. Rx-Rabatte sollten auch deutschen Apothekern erlaubt werden – dann wäre auch der Vorwurf der Inländerdiskriminierung ausgeräumt, also der Benachteiligung von deutschen Apothekern gegenüber ausländischer Web-Konkurrenz.

Wie könnte sich die Apothekenlandschaft langfristig verändern?

Das Horrorszenario: Auf dem Land sterben reihenweise Apotheken, auch in der Stadt träfe es viele Häuser. Ob das aber an der Web-Konkurrenz läge oder am Ärztemangel auf dem Land, wäre unklar. Aber ist das überhaupt realistisch? Der Online-Marktanteil in der Apothekenbranche liegt bei nur wenigen Prozent – er ist nur eine Nische. Vielleicht wird die Preisbindung irgendwann generell gekippt. Dann könnten die Preise auf dem Land steigen und die Beratung des Apothekers dort besser honoriert werden – dies würde manchen Standort sogar attraktiver machen für Betreiber.

Fotocredits: Patrick Pleul
(dpa)

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