Sprechstunde beim Arzt per Handy oder Laptop

Mainz – Samuel ist 13 Jahre alt und vor einer knappen Woche in der Kinderchirurgie der Mainzer Universitätsmedizin operiert worden. Zur Nachsorge müsste er jetzt eigentlich den Weg in die Klinik auf sich nehmen.

Samuel aber sitzt entspannt in seinem Garten – mit seinem Arzt spricht er über eine Laptopkamera. Möglich macht das die telemedizinische Sprechstunde der Mainzer Kinderchirurgie.

Den persönlichen Kontakt zu seinem Arzt vermisst Samuel nicht. «Also eigentlich ist es ja das Gleiche, ob ich so rede oder so», sagt er. Prof. Oliver Muensterer, der Direktor der Mainzer Klinik für Kinderchirurgie, kann das bestätigen. Laut einer Studie sei bei den rund 300 jungen Patienten, die seit Anfang 2015 freiwillig das Angebot der Videosprechstunde annahmen, die Qualität der Nachsorge genauso gut wie bei denen, die zum Gespräch ganz klassisch in die Klinik kamen. Dabei würden aber Stress, Zeit und Kosten bei der Anreise vermieden, sagt Muensterer.

Die Patienten verpassen keinen Unterricht, Eltern müssen nicht frei nehmen. Das gilt auch für den Stiefvater von Samuel, der bei der telemedizinischen Sprechstunde neben ihm sitzt. Er hat das Gespräch einfach kurz in seine Mittagspause gelegt. «Gleich gut, aber praktischer», findet Prof. Muensterer das telemedizinische Angebot.

Auch Patienten aus dem arabischen Raum, aus China, Russland, Nigeria oder Mosambik haben die Mainzer Ärzte nach einer OP schon auf diese Art beraten. Einen jungen Patienten, erzählt Muensterer, hätten sie in Aserbaidschan erwischt – beim Skifahren im Kaukasus, auf über 2500 Metern Höhe. Die Patienten brauchen für das Angebot nur eine Handy- oder Laptopkamera.

«Jeder hat diese Hardware daheim und Zugang dazu», sagt Muensterer. Auch in der Klinik ist die Technik einfach: Ein großer Flachbildschirm, Kamera und Mikrofon, eine Videotelefonie-Software und ein «Universitätsmedizin»-Aufsteller für den Hintergrund – mehr braucht es nicht für Gespräche über tausende Kilometer hinweg.

Die Nachsorge nach einer OP müsse er gar nicht unbedingt selbst übernehmen, sagt der Kinderchirurg Dr. Jan Gödeke, der die meisten der Videosprechstunden in Mainz abhält. Es sei aber auch eine Art Erfolgskontrolle für die Ärzte. Einen großen Teil der Sprechstunden machten Gespräche mit Patienten und Eltern aus, sagt Gödeke. Er binde aber auch Eltern als «Arztersatz» mit ein und lasse sie Symptome an ihrem Kind beobachten oder ertasten.

Manches könne er per Videotelefonie auch selbst untersuchen. «Zum Beispiel der Pupillenreflex – geht wunderbar», sagt Gödeke. Grenzen gebe es aber, wenn er tatsächlich den Patienten anfassen müsste. «Wir brauchen die Kooperation mit den lokal behandelnden Kinderärzten», sagt Oliver Muensterer.

Neben Kindern, die nach einer Operation in Mainz von den behandelnden Kinderchirurgen nachversorgt werden, melden sich laut Muensterer auch Eltern von Patienten oder Ärzte vor einer Operation wegen einer zweiten Meinung. Einzig die ausschließliche Behandlung per Videosprechstunde ist Ärzten in Deutschland aktuell noch nicht erlaubt. Doch auch das soll sich ändern. Anfang Mai machte der Deutsche Ärztetag in Erfurt den Weg frei für eine ausschließliche Fernbehandlung ohne vorhergehenden persönlichen Kontakt.

Nun müssen die Landesärztekammern darüber beraten, ob sie die in Erfurt beschlossene Musterberufsordnung übernehmen wollen. In Rheinland-Pfalz kann es mit der Umsetzung noch dauern. «In diesem Jahr wird es zeitlich sicherlich nicht zu realisieren sein», teilte der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Günther Matheis, mit. Es bestehe aber auch kein dringender Handlungsbedarf. Viele telemedizinischen Modelle seien schon jetzt möglich. Der Beschluss des Ärztetags bedeute keinen Paradigmenwechsel, es handele sich um eine Angebotserweiterung im streng limitierten Rahmen. Telemedizinische Modellprojekte werde man aber wohlwollend verfolgen.

«Ich sehe in der Telemedizin neue Chancen für die Gesundheitsversorgung gerade im ländlichen Raum», teilte die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) mit. Sie begrüße die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots durch den Deutschen Ärztetag. Der persönliche Kontakt und das unmittelbare Arzt-Patienten-Verhältnis seien aber auch in Zukunft nicht zu ersetzen.

«Der Hausarzt um die Ecke wird nicht mehr überall erhalten bleiben», teilte die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz mit. Die Nutzung von telemedizinischen Angeboten wie Video-, Online- und Telefonsprechstunden dürfe jedoch nicht dazu führen, dass internationale Konzerne über Callcenter Fernbehandlungen vornähmen, deren Qualität nicht zu kontrollieren sei.

Für die Mainzer Kinderchirurgen werde sich durch den Beschluss des Ärztetags wenig ändern, sagt Klinikchef Muensterer. Er hoffe aber, dass Telemedizin dadurch besser anerkannt werde. So könnten die Videosprechstunden von Krankenkassen anerkannt und abgerechnet werden – aktuell finanziert sich das Projekt noch aus Forschungsgeldern von Land und Stiftungen.

Der Telemedizin stünden auch weniger gesetzliche Hürden im Weg als technische. «Ins Ausland haben wir eine super Verbindung», sagt Muensterer. Schon in Mainz-Mombach könne es aber schwierig werden, im ländlichen Raum gebe es in Deutschland immer wieder Probleme mit der Internetverbindung. «Der limitierende Faktor ist die Breitbandverbindung», sagt Muensterer.

Fotocredits: Gregor Bauernfeind
(dpa)

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