Berlin – «Auf einer für alle gemeinsamen Grundschule baut sich das mittlere und höhere Schulwesen auf», so stand es in der Weimarer Verfassung, die 1919 in Kraft trat. Seitdem bekommen die jüngsten Schüler in Deutschland das Wissen für später an der Grundschule vermittelt.
Die Anfänge
Bevor es die Grundschule gab, war die Lage so: Privilegierte Kinder hatten Hauslehrer oder wurden in speziellen Vorbereitungsschulen intensiv für das spätere Gymnasium geschult. Kinder aus armen Familien drängten sich dagegen in übervollen Volksschulklassen und schafften später nur selten den Sprung auf das Gymnasium. In der Weimarer Republik «sollte die Grundschule als gemeinsame Schule für alle das ständische Schulsystem beenden», schreibt der Deutsche Grundschulverband in einem Papier zum 100-Jährigen Jubiläum. «Die Demokratisierung der Gesellschaft sollte erreicht werden, indem schon in der Schule alle die gleiche Chance bekommen und dieselben Erfahrungen machen», sagt Bildungsforscher Hans Brügelmann.
Grundschule in Zahlen heute
Jeder dritte Schüler in Deutschland besucht eine Grundschule. Das sind rund 2,8 Millionen Mädchen und Jungen – die Jungs sind zahlenmäßig leicht im Vorteil (+ 48.000). Der Anteil der ausländischen Schüler liegt bei zwölf Prozent. Laut Statistischem Bundesamt gibt es rund 15.500 Grundschulen im Land. Seit 2006 wurden mehr als 1500 Grundschulen geschlossen oder zusammengelegt, besonders in ländlichen, strukturschwachen Landkreisen mit Bevölkerungsrückgang. Männliche Lehrer sind immer noch selten: Von den 200.000 Grundschullehrkräften sind 90 Prozent Frauen.
Was sich inhaltlich seit 1919 verändert hat
Im Idealfall sieht es heute an einer Grundschule so aus, sagt Bildungsforscher Brügelmann: «Die Kinder sitzen nicht mehr in Reih und Glied in den Bänken, sondern arbeiten an unterschiedlichen Aufgaben.» Die zentrale pädagogische Veränderung seit Beginn der Grundschule sei gewesen, dass verstärkt Rücksicht genommen werde auf die Unterschiede, die Kinder schon am Schulanfang mitbrächten: Bei der Sprachentwicklung, bei der Erfahrung mit Mathematik und Schriftsprache. «Sie müssen deshalb unterschiedliche nächste Schritte tun, obwohl sie in derselben Klasse sitzen.» In der Umsetzung sei das an manchen Grundschulen bereits gelungen, an manchen nicht.
Das läuft gut
Eine Umfrage hatte Anfang September gezeigt: Die große Mehrheit der Eltern ist mit der Grundschule ihrer Kinder zufrieden und würde diese weiterempfehlen. Stephan Wassmuth, der Vorsitzende des Bundeselternrats, sagte der dpa, vieles sei nicht nur durch PISA in Bewegung gekommen. «Teilweise ist das kompetenzorientierte Lernen auf einem guten Weg, und die Eltern erhalten heute mehr konkrete Rückmeldungen zu ihrem eigenen Kind, was sich nicht zuletzt auf die Vertrauensbildung gut auswirkt.» Auf der Leistungsebene stehe die deutsche Grundschule international gut da, sagt Bildungsforscher Brügelmann: «Nicht spitze, aber überdurchschnittlich.»
Das größte Problem
Der Lehrermangel: Bis 2025 werden nach Prognosen der Bertelsmann-Stiftung mindestens 26.300 Lehrkräfte an Grundschulen fehlen. Der Elternratsvorsitzende kritisiert die Politik: «Wieso die Kultusministerien, trotz der gemeinsamen Strategie zur Lehrerausbildung, diese Baustelle nicht in den Griff bekommen ist für uns Eltern nicht erklärbar», sagt Wassmuth. Zudem werde kulturelle Bildung «vernachlässigt bzw. zurückgefahren».
Ein Blick nach vorne
Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, lautet ein geflügeltes Wort. Wird an Grundschulen auch in 100 Jahren das Wesentliche – also Lesen, Rechnen und Schreiben – gelehrt? Der Bildungsforscher Brügelmann verweist zwar darauf, dass sich Dinge manchmal sehr schnell verändern: «Vor zehn Jahren hätte man nicht vorhergesagt, dass es eine so starke Präsenz von digitalen Medien im Alltag gibt.» Dennoch sagt er auch: «Was ganz klar ist, eine Grundbildung in Schriftsprache, Mathematik, im musisch-ästhetischen Bereich, aber auch im Weltverständnis, was wir also Sachunterricht nennen – das wird bleiben, egal, mit welchen Medien man da operiert.»
Fotocredits: Arno Burgi
(dpa)