Spezialhotels ermöglichen Angehörigen Auszeit

Willingen (dpa/lhe) – Margret Surmann ist eine Pflegekraft, die fast nie Feierabend hat: Ihr Mann hatte vor zehn Jahren einen Schlaganfall. Seitdem pflegt sie ihn. Dabei ist die fröhliche Dame mit 82 Jahren in einem Alter, in dem viele Senioren selbst Hilfe brauchen.

An Urlaub sei nach dem Schlaganfall zunächst nicht zu denken gewesen, sagt Surmann. Heute kann das Paar aus dem Münsterland zumindest zeitweise ausspannen. Obwohl ihr Mann ein Pflegefall ist, machen beide Urlaub – im
Pflegehotel im nordhessischen Willingen.

Auszeiten sind notwendig

«Pflegende Angehörige brauchen solche Auszeiten, weil sie sonst keine Kraft mehr haben», sagt Waltraud Rebbe-Meyer. Sie ist Geschäftsführerin eines kleinen Hotels an der hessisch-westfälischen Grenze. 15 Plätze für Pflegebedürftige und bis zu 6 Plätze für pflegende Angehörige hat das Haus. 92 Prozent der Kunden seien Stammgäste.

Die Kombination aus Pflege und Hotel ist nach Einschätzung des Vereins Pflegende Angehörige mit Sitz in Amberg (Bayern) noch selten in Deutschland. Offizielle Zahlen fehlen – auch, weil sich hinter dem Begriff «Pflegehotel» verschiedene Konzepte verbergen können.

Pflegeeinrichtung mit Hotel- und Rehaleistungen

Laut Rebbe-Meyer werden in den meisten Pflegehotels Pflegeleistungen durch einen ambulanten Pflegedienst erbracht. Das Konzept in Willingen ist anders: Es handelt sich rechtlich gesehen um eine Pflegeeinrichtung, die auch Hotel- und Rehaleistungen erbringt und allen entsprechenden Prüforganen und Vorschriften unterliegt. «Wir haben einen Versorgungsvertrag mit allen gesetzlichen Pflegekassen und werden von der Heimaufsicht und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung geprüft», erzählt Rebbe-Meyer.

Pflegeversicherungstechnisch gesehen handelt es sich um Kurzzeitpflege, also die stationäre Aufnahme in eine Einrichtung. Eine Tagespflege, eine Betreuung nur tagsüber, gibt es ebenfalls. Ziel des Pflegehotels in Willingen sei, dass «die Pflegebedürftigen durch professionelle Pflege-, Betreuungs-, Therapie- und Wohlfühlleistungen, in einer abwechslungsreichen Urlaubsatmosphäre – und wenn möglich gemeinsam mit ihren Angehörigen – wieder Kraft und Energie erhalten».

«Wir dürfen uns Hotel nennen, weil wir die Annehmlichkeiten eines Hotels bieten», sagt die Geschäftsführerin. Die Angebote gehen weit über ein Pflegeheim hinaus: In einem Raum können sich die Gäste begleitet von Meeresrauschen mit Licht bestrahlen lassen. Nebenan steht ein neues Therapiegerät für Schlaganfallpatienten. Es gibt altersgerechte Trainingsgeräte, Massagen, einen Sole- und Sauerstoffraum.

Pflege ohne Zeitdruck

Für Gäste wie Erwin Pluntke ist es vor allem das Personal, das den Unterschied macht. Der 83-Jährige aus Lippstadt (Nordrhein-Westfalen) pflegt seine demente Frau. Bei der Versorgung daheim durch einen normalen Pflegedienst spüre man den Zeitdruck. «Das ist hier etwas ganz anderes», meint er.

Vorgeschriebene Zeiten – wie viele Minuten pro Person für die Pflege zur Verfügung stehen – gebe es hier nicht, sagt auch Hotelgeschäftsführerin Rebbe-Meyer. Die Kombination von Pflege und Hotel unter ständiger Beobachtung der Angehörigen sei eine große Herausforderung: «Wir dürfen nicht schwächeln», meint sie. Zudem sei es teuer, das Personal für den Service wie in einem Hotel bereitzuhalten. «Es ist ein schwerer Kampf, dass sich das alles am Ende des Tages rechnet.»

Die Pflegekasse übernimmt die Pflegekosten

Ein Urlaub im Pflegehotel kostet Pflegebedürftige und Angehörige Geld. Die Pflegekasse übernimmt in der Regel nur die Pflegekosten. Unterkunft und Essen müssen selbst bezahlt werden. Etwa 150 Euro mache das bei einem Paar in der Regel pro Tag aus. Zwar gebe es theoretisch noch Zuschüsse für die pflegenden Angehörigen für ambulante Kuren, die würden aber von Kassen oft abgelehnt, sagt Rebbe-Meyer.

Das Potenzial für Pflegehotels ist groß: Laut dem
Statistischen Bundesamt wurden Ende 2017 von den 3,41 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland 1,76 Millionen allein durch Angehörige gepflegt. Weitere 0,83 Millionen wurden zusammen mit oder durch ambulante Pflegedienste versorgt.

Ein Modell mit Zukunft

Für den Verein Pflegende Angehörige sind Hotels wie in Willingen ein Modell mit Zukunft: «Das ist eine tolle Geschichte», sagt die Vorsitzende Kornelia Schmid. Wichtig sei, dass die Hotels auch die Bedürfnisse des pflegenden Angehörigen berücksichtigten. Dass es bisher nur wenige solcher Einrichtung gebe, liege daran, dass das Thema Pflege «noch gar nicht angekommen ist in unserer Gesellschaft».

Für die Pflegekassen existieren Pflegehotels praktisch nicht. Der Einrichtungstyp sei «gesetzlich nicht vorgesehen», sagt eine Sprecherin des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Grundsätzlich sei Kurzzeitpflege in entsprechenden Einrichtungen aber «eine hilfreiche und sinnvolle Unterstützung für den Pflegebedürftigen, aber auch die pflegenden Angehörigen».

Fotocredits: Swen Pförtner

(dpa)

Related posts

Comment