Stuttgart – Familienumzug von Berlin nach Stuttgart – der Gedanke schwirrte Christina Häußler (39) schon lange durch den Kopf. Ihr Mann hatte in Stuttgart einen Job, der ihn erfüllte, sie reizte der Neuanfang.
Irgendwann war es beschlossene Sache, das Abenteuer konnte beginnen – eigentlich. Doch so einfach war es nicht. Christina Häußlers sechsjährige Tochter Stella fand die Entscheidung der Eltern gar nicht abenteuerlich. Ihr Standpunkt war klar: Sie wollte bleiben.
Für die Frankfurter Diplom-Pädagogin und Paar- und Familientherapeutin Bettina Freifrau von Schorlemer ist das eine ganz natürliche Reaktion. Vor allem Kinder, die älter als fünf Jahre sind, könnten nicht mehr unbefangen mit einem Umzug umgehen. «Sie haben schon ein festes soziales Umfeld: Freunde, Schule, Nachbarn oder auch die Großeltern in der Nähe.»
Hier sei viel Fingerspitzengefühl gefragt. Von Schorlemer empfiehlt: «Sobald die Entscheidung feststeht, sollten Eltern mit ihren Kindern darüber sprechen»
So tasteten sich auch Christina Häußler und Tochter Stella langsam an ihr neues Zuhause heran. «Wir sind vor dem Umzug immer wieder in Stuttgart gewesen und haben schöne Plätze für uns entdeckt», erinnert sie sich. «Wir haben uns richtige Luftschlösser gebaut und uns so nach und nach gedanklich in Stuttgart verankert.»
Genauso wichtig wie die Vorfreude aufs neue Zuhause ist jedoch auch ein ausführliches Abschiednehmen – das betont Helga Boldt. Sie ist Schulleiterin der Neuen Schule Wolfsburg, an der regelmäßig Kinder aus anderen Städten oder Ländern in bestehende Klassen wechseln oder sie wieder verlassen. Hauptgrund dafür sind häufige berufsbedingte Wohnortwechsel der Eltern, die bei Volkswagen angestellt sind.
«Kinder, die sich in Ruhe und mit offenem Herzen von ihrer alten Schule verabschieden, haben es in der neuen Schule einfacher», sagt Helga Boldt. Deshalb wird an der Neuen Schule Wolfsburg ein Abschied gebührend gefeiert – mit selbst gebastelten Geschenken und Kuchen.
Den Kindern Zeit geben, sich mit dem neuen Umfeld vertraut zu machen, dazu rät auch Stefanie Malanowski. Sie ist Diplom-Psychologin sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin in Berlin. «Natürlich haben Eltern das Bedürfnis, den Kindern den besten Start in der neuen Umgebung zu ermöglichen und nehmen häufig viel vorweg.»
Dabei sei es nicht immer sinnvoll, den Kindern schon im Vorfeld eine für sie vorgefertigte Umgebung zu schaffen – den neuen Sportverein schon auszusuchen oder die Musikschule. «Das kann Kinder schnell überfordern. Ich bin davon überzeugt, dass sie von sich aus signalisieren, was für sie das richtige Tempo ist», sagt Malanowski.
Doch auch die beste Vorbereitung auf das neue Zuhause schützt nicht vor Heimweh. Laut Malanowski werden Umzüge von Kindern in der Regel zwar gut bewältigt. In seltenen Fällen zeigen sie jedoch auffällige Symptome. Sie entwickeln eine verstärkte Trennungsängstlichkeit, ziehen sich zurück, nässen nachts plötzlich wieder ein, bekommen Alpträume, werden launischer oder sogar aggressiv. Halten solche Auffälligkeiten länger als ein halbes Jahr an, sei es ratsam, einen Therapeuten aufzusuchen.
Stella lebt nun seit sechs Monaten in Stuttgart – sie geht in den Kindergarten, hat neue Freundinnen. Christina Häußler ist glücklich, dass ihre Tochter die Umstellung gemeistert hat. Und neulich sagte Stella: «Mama, Stuttgart ist jetzt unser neues Zuhause!» Da war klar: Jetzt sind alle drei wirklich angekommen.
Fotocredits: Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Franziska Gabbert,Polina Feuerbach,Franziska Gabbert
(dpa/tmn)