Rosi rackert: Warum eine 75-Jährige noch arbeitet

Bretten – Edwin ist die Grün, Ariane die Blau, Sofia die Rot und Giulia die Gelb. Die Fünfjährigen stellen ihre Männchen auf für das Spiel «Die Maulwurf Company» in der Kita Schneckenhaus in Bretten (Kreis Karlsruhe). Mittendrin sitzt die 74-jährige Rosemarie Halmos, seit 17 Jahren dort angestellt.

«Ich bin fit wie ein Turnschuh», sagt sie, und man nimmt es ihr sofort ab. Im September wird sie 75, und ihr Alter sieht man der gepflegten Frau absolut nicht an. Im Jahr 1992 schmiss sie ihrem damaligen Mann nach 30 Jahren Verheiratetsein die Ehe vor die Füße. Bevormundung, Gängelung, «mir hat es gereicht.»

Ein Riesenschritt war das damals, viel größer noch als heute, sagt sie. Und finanziell ein riskanter Sprung ins Ungewisse. Hinter der gelernten Friseurin lag da nicht nur eine unglückliche Ehe. Sondern auch eine typische Frauenbiografie. Drei Kinder großgezogen, bis dahin nie in angemeldeten Beschäftigungsverhältnissen gearbeitet. Eigener bis dahin erwirtschafteter Rentenanspruch: Null.

Danach schlug sie sich durch. Als Haushaltshilfe, mit Minijobs, als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis, Reinigungskraft. «Ich hatte mitunter fünf Putzstellen.» Als sie in Rente ging, standen ihr per Versorgungsausgleich 42 Prozent der Rente ihres Ex-Mannes zu, etwa 350 Euro, plus rund 400 Euro inzwischen selbst erwirtschafteter Rente. Das reichte nicht. «Da ging ich halt weiter rackern, ich habe mein ganzes Leben lang gerackert», erklärt sie. Ohne Groll übrigens. Im Jahr 2000 stieg sie in der Kita ein. Gelernte Erzieherin ist sie nicht.

Arbeit nach der Rente – was Rosemarie Halmos macht, ist sozusagen Trend. Muss ja auch. Die Altersarmut steigt und wird weiter steigen, ergab eine Ende Juni veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung.

Das Statistische Landesamt verweist auf folgende aktuelle Zahlen aus dem Jahr 2016: Gut eine Million Menschen in Baden-Württemberg sind zwischen 65 und 74 Jahre alt, jeder siebte und somit rund 156 000 der Senioren in dieser Altersgruppe arbeiten. Das entspricht mehr als 15 Prozent in dieser Altersgruppe – doppelt soviel, wie noch vor zehn Jahren (7,5 Prozent). Bundesweit ist die Entwicklung ähnlich, berichtete Mitte Juli das Statistische Bundesamt.

Halmos kocht anfangs in der Kita, ist für alles rund um die Hauswirtschaft zuständig, hilft bis heute bei der Betreuung, überwacht Händewaschen und Zähneputzen der Kinder, sitzt in Sandkästen, putzt Nasen, spielt, tröstet. Sie ist immer noch gern gehörte Ratgeberin der jungen Erzieherinnen, wenn es an die Elterngespräche geht. Sie hat jetzt, abzüglich Miete, monatlich rund 700 Euro zur Verfügung – dank Job im Schneckenhaus. Ohne Job wäre das sehr mager, meint sie.

Was ihr richtig geholfen hat: Die Mütterrente. Seit Juli 2014 bekommt sie rund 75 Euro mehr im Monat dank der Anrechnung eines zusätzlichen Erziehungsjahres für ihre drei vor 1992 geborenen Kinder. Wieviele Frauen von der Mütterrente profitieren, wird nicht gesondert erhoben. Insgesamt, sagt eine Sprecherin des Stuttgarter Sozialministeriums unter Berufung auf die Rentenbestandsstatistik, bekommen fast eine Million Frauen im Südwesten Rente, bei der auch Kindererziehungszeiten berücksichtigt sind.

Wenn Halmos eine Forderung an die Politik hat: «Jede Frau, die Kinder großgezogen hat, hat eine Mindestrente verdient – egal, ob sie gearbeitet hat oder nicht», sagt sie. Eine Haltung dazu auf Landesebene gibt es nicht, das Sozialministerium verweist auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Seit April hat Rosemarie Halmos ihre Arbeitszeit reduziert, sie geht nur noch dreimal die Woche ins Schneckenhaus, nicht mehr jeden Tag. «Tritt‘ endlich ein bisschen kürzer», habe ihre Arbeitgeberin zu ihr gesagt. Darüber ist die 74-Jährige schon ein bisschen froh. Ein wenig mehr Zeit hat sie jetzt für Urlaub, für sich, für Kinder und Enkel. Zum Glück aber macht ihr ihre Arbeit auch sehr viel Spaß. Denn das Geld braucht sie weiterhin. «Ich schaff‘, bis ich 80 bin.»

Fotocredits: Uli Deck
(dpa)

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