München – Im Internet kursierte kürzlich das Video einer israelischen Mutter. Sie machte darin ihrem Unmut über das Lernen zuhause Luft.
«Hört mal, das funktioniert nicht, dieses ganze Lernen aus der Ferne»,
empörte sie sich und redete sich immer mehr in Rage. Unmengen Nachrichten mit Arbeitsmaterial von Lehrern, nebenbei den Kindern Bruchrechnen oder Naturwissenschaften erklären. «Woher soll ich das alles wissen?»
Vielen Eltern dürfte sie aus dem Herzen sprechen. Nach den Schulschließungen Mitte März wegen Corona mussten auch deutsche Schüler von zuhause aus lernen. Und während ab dem 27. April Abschlussklassen und ältere Schüler nach und nach in die Schule können, wird es für 80 Prozent der Kinder nach den Osterferien ab Montag (20. April) erst mal so weiter gehen.
Lernaufträge aus dem Netz
Nach Anfangsschwierigkeiten hatte sich vor Ostern Vieles eingespielt. Ältere Schüler bekamen Aufträge über Lernplattformen wie Mebis oder standen mit Lehrern etwa per Handy direkt in Kontakt. Lehrer drehten Erklärvideos, andere luden ihre Klassen zu Videokonferenzen. Oft gab es Arbeitsblätter per E-Mail. Die Voraussetzung zuhause: Computer, Drucker und stabiles Internet, um die Berge an Papier auszudrucken. «Das ganze ist fast vollständig analog – mit Ausnahme vom Verweis auf ein paar Links im Netz», stellte ein Vater aus München fest.
Ein Aufwand, den nicht alle Eltern betreiben können oder wollen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, sieht Schwierigkeiten etwa in bildungsfernen Familien oder bei Eltern, die nicht gut deutsch sprechen und deshalb nur schwer helfen könnten. Die Schüler aus solchen Familien könnten leider kaum mit Homeschooling effektiv erreicht werden, meint Meidinger. Das gelte auch für Kinder, die besondere persönliche Förderung bräuchten, etwa eine Sprachförderung oder bei denen ein Inklusionsbedarf bestehe.
Kein Vollunterricht mehr in diesem Schuljahr
Trotzdem müssen sich ab Montag alle wieder mit dieser Art des Lernen arrangieren. Am 30. April soll beraten werden, ob und wie die Schulen ab dem 11. Mai wieder öffnen können. Keine leichte Aufgabe, denn neben der Frage, wie in geteilten Klassen und mit Sicherheitsabstand unterrichtet werden soll, geht es auch um Regeln etwa für die Einhaltung von Hygienestandards oder das Verhalten in der Pause. Ein Normalbetrieb, da sind sich alle einig, ist vorerst nicht in Sicht. «Vollunterricht wird es in dem Schuljahr nicht mehr geben», sagt Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband.
Eltern müssen also weiter Kniffliges wie das Potenzrechnen erklären, die englische Grammatik schmackhaft machen oder die lieben Kleinen überhaupt zum Lernen bringen. Im Homeoffice schiebt man das zwischen die Arbeit am Computer und die Telefonkonferenz. Eltern, die außer Haus arbeiten, versuchen es aus der Ferne per Telefon. Beides mühsam. Laut einer Umfrage des Bayerischen Elternverbandes hatten 15 bis 20 Prozent der Eltern die Situation als äußerst anstrengend bis überfordernd erlebt. «Es kommt dadurch zu Streit und Stress in den Familien, Eltern werden für die Kinder zu ständig unzufriedenen Antreibern in Sachen Schule», kritisierte der Verband in einem offenen Brief an Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler).
Nur Gelerntes wiederholen, reicht nicht
«Die Eltern sind keine Hilfslehrer», machte Piazolo deutlich. Noten soll es bis zur Aufnahme des Unterrichts nicht geben. Doch nur Gelerntes zu wiederholen, reicht irgendwann nicht mehr, glaubt Meidinger. Jetzt müsse man zunehmend auf das Durchnehmen neuen Stoffs umschalten. Und: «Je länger das Homeschooling dauert, desto mehr muss man sich darüber Gedanken machen, wie man die größer werdenden Wissenslücken in der Phase danach wieder auffangen kann.»
Was derzeit am meisten fehlt, ist nach Ansicht von Michael Schwägerl vom Bayerischen Philologenverband (bpv) das soziale Miteinander in der Schule. «Dabei geht es zum Beispiel um gegenseitiges Feedback oder einfach um das Da-Sein und Zusammensein der Lehrkraft und der Klasse», sagt der bpv-Geschäftsführer. Das findet auch der 6 Jahre alte Theo aus Nürnberg, der seine Schulfreunde vermisst. «Schule Zuhause macht keinen Spaß. Meine Lehrerin kann besser erklären und die Pausen sind lustiger.»
Etwas Gutes könnte die Corona-Krise auch bewirken: «Mit Sicherheit werden die Erfahrungen der vergangenen Wochen Konsequenzen für die Verstärkung der Digitalisierung im Bildungsbereich haben», glaubt Jürgen Böhm vom Verband Deutscher Realschullehrer. «Jetzt muss man aus den aufgetretenen Mängeln lernen.» Auch manchen Eltern dürfte die Erkenntnis dämmern, dass das Unterrichten potenziell unwilliger Schüler doch nicht so einfach ist, wie sie glaubten. Das Internet hat auch darauf eine lustige Antwort, dieses Mal in einem Clip mit den Minions, in dem der
Lehrer-Minion den frustrierten Eltern-Minion auslacht – aus vollem Herzen und mit großer Schadenfreude.
Bald wieder 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche in Schulen
Wiesbaden – Nach der Einigung von Bund und Ländern für eine eingeschränkte Öffnung der Schulen in der Corona-Krise werden nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes bald wieder 2,6 Millionen Kinder die Schulbank drücken. Dies seien rund 700.000 der insgesamt 2,9 Millionen Grundschüler, 1,1 Millionen Jugendliche in Abschlussklassen und 750.000 in Vorabschlussklassen, teilte das Bundesamt am Freitag mit.
Bund und Länder haben vereinbart, den in der Corona-Krise eingestellten Schulbetrieb in Deutschland schrittweise wieder aufzunehmen. Demnach sollen zuerst Abschlussklassen, Klassen, die im kommenden Jahr Prüfungen ablegen und die obersten Grundschulklassen wieder zurück in die Schulen kommen können. Anstehende Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen der Abschlussklassen dieses Schuljahres können aber auch vorher schon stattfinden.
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(dpa)