Berlin (dpa) – Mann möchte auch etwas sagen. Die neue Debatte über Sexismus, sexuelle Belästigung und Nötigung reißt nicht ab. Die Fälle schockieren, und immer mehr prominente Fälle von Kevin Spacey bis Dustin Hoffman kommen hinzu. Da will Mann seine Empörung ausdrücken.
Aber in die Debatte um «#MeToo» mischen sich auch Stimmen, die Männer grundsätzlich als die Wurzel des Problems sehen. Ergreift ein Mann das Wort, ist schnell von «mansplaining» die Rede: So wird es heute bezeichnet, wenn Männer Frauen mal wieder die Welt erklären wollen.
Viele verunsichert das. Ist denn wirklich kein Mann frei von Sexismus? Und verhalten sich nicht auch Frauen manchmal sexistisch? Ist es bevormundend, wenn Mann zu diesen Fragen etwas sagen möchte?
Eine kurze Recherche macht schnell deutlich, dass von einem Sprachverbot keine Rede sein kann. Schon viele Männer haben ihre Meinung zu «#MeToo» verbreitet, sei es in den Kolumnen etablierter Medien oder in den Kommentarspalten der sozialen Netzwerke, auch chauvinistisch-verständnislose Beiträge sind darunter. Aber die Verunsicherung, sie ist trotzdem da.
Tomasz Kurianowicz etwa schreibt auf «Zeit Online» unter dem Titel «
Der verunsicherte Mann» über sein Dilemma: «Ich habe drei Mal neu angesetzt, weil mich jedes Mal der Zweifel überkam, ob ich mir das Recht herausnehmen darf, mich in die Debatte einzumischen.» Und Martin Daubney vom britischen «Telegraph» fragt sich, warum er das Bedürfnis verspürt, sich für die mutmaßlichen Taten von Harvey Weinstein zu entschuldigen – nur, weil er auch ein Mann ist.
In der Verurteilung sexueller Nötigung dürfte es keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern geben, sie ist ein perfides Verbrechen. Dennoch erscheint einigen Männern das Thema wie ein Drahtseilakt. Manch einer fühlt sich sicher ertappt, vielleicht zurecht. Viele fragen sich aber auch schlicht, wo denn nun die Grenze verläuft: Was ist noch Kompliment, was Belästigung?
Einige machen daraus eine Generationenfrage. Der Dirndl-Spruch von Rainer Brüderle zum Beispiel, der 2013 den «#Aufschrei» auslöste, wurde als Altherrenwitz bezeichnet. Dieser Ansatz liegt nahe, in Deutschland ist schließlich selbst die Vergewaltigung in der Ehe erst seit 20 Jahren strafbar. Aber auch unter jungen Menschen tun sich in der aktuellen Debatte Gräben auf. Ist die heutige Zeit – mit Blick auf Komplimente etwa – vielleicht sogar prüder als etwa die 80er?
Allein aufs Alter lassen sich die Probleme jedenfalls nicht abschieben: In einer Umfrage gaben gerade 43 Prozent der befragten Frauen in Deutschland an, schon sexuell bedrängt oder belästigt worden zu sein – und 12 Prozent der befragten Männer. Einen nennenswerten Generationenunterschied offenbarten die Zahlen nicht.
Die Unsicherheit könnte auch darauf zurückgehen, dass unter dem Schlagwort Sexismus mittlerweile höchst unterschiedliche Vorfälle zusammengefasst werden. Am Rande von «#MeToo» und ähnlichen Diskussionen ist dann zum Beispiel erst von einer Vergewaltigung die Rede und dann von einem Mann, der im Zug nicht den Sitzplatz freigibt, den eine Frau reserviert hatte. Mit so einem Verhalten durchzukommen, sei ein Privileg der Männer, wird dann im Netz behauptet. Eine solche Trivialisierung aber hilft nur jenen, die an sexistischem Verhalten festhalten wollen. Den ungezählten – und oft nicht erzählten – schwereren Fällen wird sie nicht gerecht.
Denn es gibt schon Unterschiede: Das Strafrecht kennt kein «#MeToo», sondern es reicht von Beleidigung auf sexueller Grundlage über sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Alles schlimm, aber auch alles anders. Die sexuelle Belästigung definiert es in
Paragraf 184i wie folgt: «Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.»
Die Meinungen in den sozialen Netzwerken zu den aktuellen Vorwürfen gegen einige Stars könnten nicht weiter auseinander gehen. Einige sind genervt («Boah wird das jetzt zum Volkssport?»), andere verstehen nicht, warum sich die Opfer «erst jetzt» melden, wieder andere drücken schlicht ihr Entsetzen ob der Taten aus.
Eine ältere Frau schreibt: «Wenn ich jeden, der anzügliche Bemerkungen mir gegenüber im vorherigen Jahrtausend losgelassen hat, im Nachhinein anzeigen würde, dann wäre was los. Es reichte mir, meine rechte Augenbraue hochzuziehen…» Und es ist ein Mann, der dem entgegenstellt: «Na ja, ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand nach der Selbstverständlichkeit von «Anzüglichkeiten» zurücksehnt.» Interessant dabei: Für praktisch jede Meinung lassen sich Vertreter beider Geschlechter finden.
Dem häufigen Vorwurf, die Opfer hätten zu lange geschwiegen, kann man entgegenhalten, dass es selbstverständlich jedem Opfer zusteht, seine Geschichte zu erzählen und den Täter anzuprangern – ermutigt von Menschen, die Gleiches durchleben mussten, in einer Gesellschaft, die Opfer sonst häufig nicht ernst nimmt. Zumal es bis zur Verjährung sexueller Vergehen in Deutschland je nach Schwere der Straftat Jahrzehnte dauern kann, auch abhängig vom Alter des Opfers.
Schließlich werden die Geschichten der Opfer oft schnell verdeckt: Die Vorwürfe gegen Spacey wurden überlagert von seinem Coming Out, Hoffman rechtfertigt sich damit, der Übergriff gebe nicht wieder, wer er wirklich sei. Zwar kann auch ein widerlegter Vergewaltigungsvorwurf den Ruf eines Mannes ruinieren. Es kommt aber nicht selten vor, dass sexistisches Verhalten keine Konsequenzen hat – so wurde Donald Trump trotz zahlreicher Vorwürfe zum US-Präsidenten gewählt.
Wir müssen also reden. Darüber, warum Männer in Politik, Wirtschaft und Kultur so deutlich überrepräsentiert sind und warum die vielen sexuellen Übergriffe so lange ignoriert wurden. Wenn «#MeToo» eine Debatte darüber angestoßen hat, wäre das als gesellschaftspolitischer Impuls jede Zeile wert. Aber es sollte gemeinsam diskutiert werden, nicht gegeneinander. Sonst bleibt es, wie es in einem
Kommentar der «taz» heißt: «Nur ein Geräusch, das verhallen wird.»
Fotocredits: Jens Kalaene
(dpa)