Manipulation als perfide Form psychischen Missbrauchs

Berlin – Das Bild ist weg. Es hängt nicht an der Wand an seinem Platz. «Bella, wo ist das Bild?», fragt Paul. Bella ist den Tränen nahe. «Ich schwöre, ich hab es nicht genommen, ich schwöre», beteuert sie. Paul weiß das. Statt sie zu beruhigen, sagt er: «Du verlierst deinen Verstand.»

Bella und Paul gibt es nicht wirklich. Na ja, das stimmt nicht ganz. Bella und Paul sind die Protagonisten eines alten britischen Films aus dem Jahr 1940. «Gaslight» nennt er sich. Und das, was Paul macht – seine Frau Bella in den Wahnsinn treiben -, das nennt sich «Gaslighting», benannt nach dem Film.

Gaslighting – das ist, wenn jemand die Realität so manipuliert, dass man selbst den Bezug zu ihr verliert, wie die Autorin Christine M. Merzeder erklärt. Sie hat ein Buch über narzisstischen Missbrauch geschrieben. Gaslighter sind Meister der Manipulation. Sie sagen Dinge wie: «Das war nicht so, das musst du dir eingebildet haben.» Oder: «Wie kannst du das nur vergessen haben, das habe ich dir doch gesagt.»

Die Opfer des Gaslightings nehmen das oft anfangs noch nicht ernst – denken: Das stimmt doch nicht. «Dann kommt es zu einer Erosion des Glaubens an sich selbst», sagt Merzeder. Schließlich verlieren sie den Bezug zur Realität, der Gaslighter hat sein Ziel erreicht. Er hat die vollständige Kontrolle über sein Opfer.

Gaslighting – dieses Wort haben in diesem Zusammenhang wohl nur wenige schon mal gehört. «Es ist ein Orchideenbegriff für ein sehr verbreitetes Phänomen», sagt Christa Roth-Sackenheim, die Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Psychiater. «Es ist ein völlig normales menschliches Bedürfnis, die eigene Wahrnehmung mit der von Bezugspersonen abzugleichen», erklärt Roth-Sackenheim. Entspricht diese Wahrnehmung nicht mehr der eigenen, verändern sich die eigene Wahrnehmung sowie das persönliche Koordinaten- und Wertesystem völlig.

Die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie beobachtet, dass häufig Frauen Opfer von Gaslighting werden. «Das ist eine Einschätzung aus der Arbeit in meiner Praxis», erklärt sie. Es könne aber auch sein, dass Frauen häufiger Hilfe suchen – belastbare Zahlen gibt es nicht.

Auch die Münchner Psychotherapeutin und Psychologin Bärbel Wardetzki beobachtet, dass es oft Frauen trifft. «Frauen lassen sich leichter gefügig machen», sagt sie. Das sei keinesfalls als Abwertung von Frauen gemeint. Vielmehr liege das daran, dass es sich dabei um Machtprozesse handele, die auch in unserer Gesellschaft noch vorhanden seien – und etwa durch Erziehung immer wieder reproduziert werden können. «Aber ich bin mir sicher, dass es auch Frauen gibt, die Gaslighter sind.»

Doch wer sind diese Gaslighter überhaupt – und warum machen sie das? «Es sind Menschen, die eigentlich sehr unsicher sind», sagt Wardetzki. Sie wirken nach außen oft sehr selbstbewusst und eigenständig. Die Täter wollen Kontrolle über ihr Opfer, es isolieren. So halten sie ihre Umgebung stabil.

Schwierig ist es für die Opfer, diesen psychischen Missbrauch zu erkennen. «In der Regel braucht man da Hilfe von außen, von guten Freunden», sagt Wardetzki. Das ist häufig problematisch, weil Gaslighter ihre Opfer bewusst isolieren.

Auch Bella kommt nicht ohne Hilfe aus ihrer Misere. Ein aufmerksamer Kommissar, der ihrem mörderischen Ehemann auf der Spur ist, erklärt ihr, warum das Gaslicht flackert. Jenes flackernde Gaslicht – Namensgeber des Films – verursachte ebenfalls Paul und redete seiner Frau ein: Das passiert nur in deinem Kopf.

Für Bella geht es schließlich gut aus – sie schlägt Paul mit seinen eigenen Waffen: Als Paul in der Falle sitzt und ihre Hilfe braucht, sagt sie nur: «Jetzt bist du hilflos – und ich bin verrückt.» Helfen kann oder will sie ihm nicht.

Literatur:

Christine Merzeder: Wie schleichendes Gift. Narzisstischen Missbrauch in Beziehungen überleben und heilen, Scorpio, Euro 17,99, 224 S., ISBN-13: 9783958030220

Fotocredits: Design Pics
(dpa/tmn)

(dpa)

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