Bremen (dpa) – Als Sabrina Larbi das Wort «Krebs» vor ihrem Sohn aussprach, bekam der sechsjährige Jamal ganz große Augen, musste tief durchatmen und fragte: «Musst du jetzt sterben?» Seitdem der Junge von der Krankheit seiner Mutter weiß, hat sich sein Verhalten verändert.
Er ist anhänglicher geworden und er leidet manchmal an Stimmungsschwankungen – Jamal hat Angst, einen Elternteil zu verlieren. Auch wenn Jamals Mutter nicht sterben muss – der Junge hat viele Fragen und für die oft schwierigen Antworten gibt es Fachleute.
Bei Sabrina Larbi wurde Anfang Februar Brustkrebs diagnostiziert. Sie wurde operiert und befindet sich nun im zweiten Block der Chemotherapie, die ein erneutes Ausbrechen der Krankheit verhindern soll. Dennoch sorgt sie sich um ihren Sohn, der Schwierigkeiten hat, all das zu verstehen. «Die Angst ist einfach da, dass er abrutscht, und das möchte ich nicht», sagt die 37-Jährige.
Eltern fällt es oft schwer auf eine kindgerechte Weise mit so einer Situation umzugehen, erklärt die Oldenburger Diplom-Psychologin Angela Paradies. Um Kindern wie Jamal psychologische Hilfe zu bieten, hat sie den Verein
«Lichtblick e.V.»im vergangenen September gegründet. Derzeit vermittelt Paradies Kinder und Jugendliche an verschiedene Psychologen in der Region, mittelfristig plant sie allerdings direkte Hilfe durch den Verein anbieten zu können.
Bereits ab dem vierten Lebensjahr können Kinder erahnen, welche Konsequenzen eine derartige Krankheit haben könnte, sagt Paradies. Ein außenstehender Ansprechpartner kann mit ihnen über die Sorgen reden, die durch eine Krebsdiagnose entstehen. «Viele Kinder äußern ihre Ängste Zuhause nicht, weil sie spüren, dass ihre Mutter oder ihr Vater besonders belastet sind», erklärt Paradies. Psychologische Hilfe kann eventuellen Spätfolgen durch die emotionale Belastung entgegenwirken.
Dennoch versuchen manche Eltern zunächst ihre Kinder durch Schweigen zu schützen. Oft merkt der Nachwuchs trotzdem, dass etwas nicht stimmt. Sie nehmen die Verhaltensänderung der Eltern wahr, die gehäuften Krankenhausbesuche oder dass einem Elternteil die Haare ausfallen. «Und wenn dann nicht darüber gesprochen wird, dann nimmt das oft einen Verlauf, dass die Kinder entweder aggressiv werden oder sich zurückziehen und schweigen», sagt die Psychologin.
Jamal ist ab August in psychologischer Behandlung. Seine Mutter hofft, dass er dadurch aufgefangen wird. «Dass er dort auch Fragen stellen kann, die ich ihm nicht beantworten kann», sagt Larbi. Der Sechsjährige ist nicht alleine in dieser Situation: Die Deutsche Krebshilfe geht davon aus, dass bundesweit jährlich bis zu 200 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren die Krebserkrankung eines Elternteils miterleben.
Wie sehr diese Kinder durch die Krebsdiagnose belastet sind, wird oft unterschätzt. Die Ehepartner eines Krebspatienten werden in den meisten Krankenhäusern betreut, aber für Kinder krebskranker Eltern gibt es häufig keine Angebote, sagt Paradies. Deshalb sind betroffene Kinder oft auf die Hilfe von anderen Institutionen angewiesen. Bereits in den ersten Monaten nach der Gründung des auf Spenden angewiesenen Vereins «Lichtblick» merkte Paradies, wie groß der Bedarf in der Weser-Ems-Region ist.
Ähnliche Einrichtungen verzeichnen auch eine große Nachfrage. Das
«Pegasus Projekt» aus Bremen, das ebenfalls Kinder krebskranker Eltern unterstützt, betreut auch Hilfesuchende aus Städten in Niedersachsen. Sie bekommen Anfragen aus Osnabrück, Wilhelmshaven und Emden, so die Leiterin und Gründerin des Projekts, Marie-Luise Zimmer. Derzeit hat die Musiktherapeutin zwei Kinder aus Hoya in Betreuung, die fast eine Stunde Fahrt in Kauf nehmen, um das Angebot in Bremen zu nutzen.
Die Beratungsstelle
«Flüsterpost e.V. – Unterstützung für Kinder krebskranker Eltern»aus Mainz bekommt Anfragen per E-Mail, am Telefon und im vereinseigenen Online-Forum unter anderem aus Berlin, München und Dresden. «Der Bedarf ist unheimlich hoch, aber es gibt zu wenig spezialisierte Institutionen», so die Leiterin und Mitbegründerin des Vereins, Anita Zimmermann. Daher beantworten die Pädagogen bundesweite Anfragen von Eltern und Kindern auch per Facebook oder WhatsApp.
Fotocredits: Carmen Jaspersen
(dpa)