Darmstadt – Ingo Sauer ist vom Auto auf das Rad umgestiegen. Der Malermeister und angehende Berufsschullehrer aus Darmstadt hat seinen Handwerkerbus verkauft und fährt mit dem Elektro-Lastenrad zu seinen Baustellen.
Ingo Sauer erledigt mit dem Rad auch Familieneinkäufe und bringt seinen drei Jahre alten Sohn Ben zur Kita. Rund 4000 Kilometer lege er im Jahr auf dem Rad zurück, sagt der 38-Jährige. Lastenräder sind im Trend: In vielen Großstädten verzichten Eltern mit kleinen Kindern auf ein Auto und steigen auf ein Lastenrad um.
«Cargobike»-Experte und Blogger Arne Behrensen spricht von einer «Verkehrswende von unten». In seinem
Blog listet er von Aachen bis Würzburg mehr als 40 Städte in Deutschland auf, in denen Lastenräder verliehen werden, oft in Regie des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). «Kostenfrei, lokal verwurzelt, gemeinschaftlich geteilt, für alle zugänglich», beschreibt Behrensen das Prinzip. «Dank des ausgeklügelten Verleih-Prinzips, starken Netzwerks, einer Wissenplattform und Open-Source-Buchungssoftware verbreitet sich das Konzept seit 2013 im gesamten deutschsprachigen Raum und Europa.»
Das «
Forum Freie Lastenräder» verzeichnet sogar mehr als 70 solcher Initiativen. Neuerdings sind auch «
Heiner-Bike» in Darmstadt mit fünf E-Lastenrädern und «
Fietje» in Bremen mit drei Rädern dabei.
Der
Anteil der Lastenräder an den verkauften E-Bikes ist innerhalb eines Jahres um 0,5 Prozentpunkte auf drei Prozent und in absoluten Zahlen um etwa 6500 Räder auf ungefähr 21 600 (Jahr 2017) gesteigen, wie David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband sagt. Zum Vergleich: Allein im Januar 2018 wurden dem Kraftfahrtbundesamt zufolge mehr als 269 400 Personenkraftwagen neu zugelassen (plus 11,6 Prozent).
Der Bundesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und Lastenrad-Fan, Wasilis von Rauch, ist dennoch überzeugt: «Der Trend zum Lastenrad wird so weitergehen.» Dazu werde auch die Kaufprämie der Bundesregierung beitragen, die allerdings nur für gewerbliche Lastenräder gelte. «Sie ist nicht so üppig, aber als Signal wichtig», sagt er. «Die Diskussion über Dieselfahrverbote kommt dem zupass.» Lastenräder verursachen keinen Feinstaub.
Was macht die Lastenräder attraktiv? Nikolas Linck vom ADFC in der Bundeshauptstadt Berlin sagt: «In vielen Stadtteilen haben junge Eltern keine Lust mehr auf ein Auto, und wissen auch nicht, wo sie es abstellen sollen.» Wie soll ich ohne Auto einen Kasten Wasser transportieren und die Kinder in die Kita bringen? Das seien oft die letzten Argumente für ein Auto. Beides lasse sich mit dem Lastenrad gut erledigen. Keine Parkplatzprobleme, weniger Staus und bessere Luft, zählt er zudem auf. Viele Handwerker nutzten die Räder, um den Stau zu umgehen und nicht in der zweiten Reihe parken zu müssen.
«Mit dem Lastenrad gewinnt man viel Platz in den Städten», sagt Behrensen. Zudem seien sie trotz der Anschaffungskosten von einigen Tausend Euro günstiger als ein Auto. «Kinder lieben den freien Blick nach vorne und man kann gut mit ihnen kommunizieren», berichtet der zweifache Vater, in dessen Haushalt es zwei Lastenräder gibt. Sicherheitsprobleme für die Kinder sehen die Fachleute nicht: Kinder könnten in vielen Rädern auch im Kindersitz festgeschnallt werden.
Familie Weidner aus Darmstadt hat sich ein Lastenrad gekauft, als sie das dritte Kind bekam und ihr bis dahin genutzter Rad-Anhänger zu klein wurde. Bei der Wohnungssuche war eine Abstellmöglichkeit für das Rad ein wichtiges Kriterium, wie Felix Weidner sagt. Der 35-Jährige fährt jeden Tag mit dem Rad und der Bahn zur Arbeit nach Wiesbaden, seine Frau mit den gleichen Verkehrsmitteln nach Groß-Bieberau. Das Abstellproblem für die schweren und wertvollen Räder müssten die Städte aber unbedingt lösen, sagt Weidner. Es stehe dem zunehmenden Umstieg auf den Radverkehr entgegen.
Ingo Sauer, der vor seinem Berufsschullehrerstudium Geschäftsführer eines mittelständischen Malerbetriebs in Mittelhessen war, schwärmt von dem positiven Lebensgefühl mit Lastenrädern – und hätte das nie gedacht: «Als Geschäftsführer konnten meine Fahrzeuge nicht schnell genug und tief genug sein und ich habe nie einen Gedanken an das Fahrradfahren verschwendet.»
Fotocredits: Claus Völker
(dpa)