Heime schaffen für Demenzkranke richtige Umgebung

München – Erst ist es die Suche nach dem Schlüssel, dann die vergessene Verabredung, später wird der Heimweg schwer – und die eigenen Kinder werden zu Fremden. Demenz lässt Menschen im Vergessen versinken.

Manche laufen immer wieder weg. Denn selbst das eigene Heim ist plötzlich fremd – sie wollen einfach nur nach Hause. Manche Heime bauten Bushaltestellen auf, an denen Bewohner dann warteten – ohne dass je ein Bus hielt. Davon kommt man inzwischen eher wieder ab. Immer mehr Heime haben aber in den Gärten Wege, die letztlich im Kreis führen: Verlaufen unmöglich. Aber die Menschen können ihr starkes Bewegungsbedürfnis gefahrlos ausleben.

Suchte man über Jahrzehnte vor allem nach Therapien und hoffte auf eine Impfung, so bemühen sich Betreuer, Ärzte und Architekten seit einigen Jahren verstärkt, auch mit der Gestaltung von Räumen auf die schwindenden geistigen Fähigkeiten einzugehen.

«Wenn der Mensch sich nicht mehr an die Umwelt anpassen kann, dann muss sich eben die Umwelt an den Menschen anpassen», sagt die Leiterin des Bayerischen Instituts für Alters- und Demenzsensible Architektur, Birgit Dietz. Zum Welt-Alzheimertag am 21. September hat sie ein Buch zum Thema veröffentlicht. Licht, Farben, Gerüche, Akustik und Bildzeichen können laut Dietz unterstützen: «Wie können die Menschen eine Art persönlichen Stadtplan im Kopf entwickeln: das eigene Haus oder Zimmer erkennen, wie kommen sie zur Toilette.» Gebe es in dieser etwa gegenüber der Türe einen Spiegel, meine mancher Demenzkranke, der sich darin sieht, die Toilette sei besetzt. Hier helfe, den Spiegel umzuhängen. «Manchmal sind es ganz banale Dinge.»

Mehr als 1,6 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Demenz, zwei Drittel davon
Alzheimer. Bis 2050 wird bei steigender Lebenserwartung mit drei Millionen Demenzpatienten gerechnet. Bis heute ist die Krankheit unheilbar.

In der Klinik der Technischen Universität München für Psychiatrie und Psychotherapie probierten die Leiterin der Demenzambulanz, Janine Diehl-Schmid, und die Architektin Dietz unterschiedliche Dinge aus, um den Menschen mehr Sicherheit und Orientierung zu bieten, etwa bei den Böden: durchgehend hellgrau – oder grau mit schwarzem Querstreifen. Die Patienten sahen letzteres als Stufe oder gar Falltüre. Stolpergefahr – gerade wenn die Krankheit fortschreitet. Dann wird es ohnehin schwerer, an der Erlebniswelt der Patienten teilzuhaben. «Man weiß wenig darüber. Das ist die Krux an der Erkrankung: Die Leute können es uns nicht mehr berichten. Wir können nur genau beobachten», sagt Diehl-Schmid.

Bewegungsmelder und Lichtstreifen können Wege weisen, farbige Markierungen lassen Lichtschalter, Waschbecken, Toilettenbrillen oder Teller besser erkennen. Beschriftungen oder Bilder an Schränken erleichtern das Finden von Dingen, selbst abschaltende Elektrogeräte bannen Gefahren. «Das Nächste wird sein: Wie können Digitalisierung und Smartphone-Anwendungen weiterhelfen?», sagt Diehl-Schmid. «Ich habe immer mehr Patienten, die Tracker dran haben.» Zur Kontrolle, wo sie gerade sind.

Es gehe darum, sich in die immer mehr in Einzelteile zerfallende Welt hineinzudenken, sagt Dietz. Wenn etwa schwarze Muster im Boden als Löcher wahrgenommen werden, könnte das heißen: «Lasst uns keine schwarzen Gullideckel machen.». Wer von einer Situation ein schwarz-weiß Foto ansehe, erkenne leicht, wo Probleme entstehen könnten. Weiße Streifen etwa, die Sehbehinderten zur Orientierung dienen, können für Demenzpatienten zur Stolperfalle werden – weil sie darin eine Stufe sehen. «Diese Zielkonflikte müssen uns bewusst sein, um vorsichtige Abwägungen bei der Planung treffen zu können.»

Als erster erkannte Alois Alzheimer vor über 100 Jahren die dann nach ihm benannte Form der Hirnerkrankung. Der Gedächtnisverlust der 51-jährigen Auguste Deter gab den Ärzten Rätsel auf. Alzheimers Dialog mit ihr ging in die Medizingeschichte ein: «Wie heißen Sie?» – «Auguste.» – «Familienname?» – «Auguste.» – «Wie heißt ihr Mann?» – «Ich glaube Auguste.» Nach ihrem Tod entdeckte er in ihrem Hirn einen massiven Zellschwund und ungewöhnliche Eiweiß-Ablagerungen. Diese gelten als Hauptursache für die Alzheimer-Krankheit, indem sie etwa Nervenzellen zerstören, Entzündungsreaktionen auslösen und die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen behindern.

Wie weit dürfen Helfer im Umgang mit verwirrten Menschen gehen? Dürfen Systeme Türen sperren, wenn sie sich nähern? Verletzen gefakte Haltestellen die Würde? Sind Demenzdörfer wie im dänischen Svendborg, im niederländischen De Hogeweyk und bei Hameln eine Lösung?

In vielen Heimen wird angepasst, ausprobiert, umgestaltet. Im Park des
Münchenstift-Hauses St. Martin wurde eine Haltestelle abgebaut. Wer sie noch als solche erkenne, wisse, dass nie ein Bus halte und werde frustriert, sagt die Leiterin des beschützenden geschlossenen Bereichs, Laura Otto. Milchglas an der Stationstüre wurde entfernt.

«Jetzt sehen die Bewohner, was sich draußen bewegt», sagt die Mitarbeiterin der Münchenstift-Geschäftsführung, Susanne Krempl. Das könne mehr Unruhe bringen. Aber: «Wir wollen so viel Freiheit wie möglich.» Anstelle des Bushalts ist ein Kleintiergehege geplant. «Tiere sind wie Musik oft der Schlüssel zu dementen Menschen.» Etwa die Congregatio Jesu in Neuburg an der Donau nahm kürzlich Alpakas als Therapietiere für demenzkranke Schwestern auf.

Neben der Gestaltung der Umgebung gebe es «ein ganz wichtiges Thema: den Pflegenotstand», sagt Diehl-Schmid. «Bevor ich die Architektur anpasse, wünsche ich mir ausreichend viele, demenzversierte Pflegekräfte.» Dietz sagt: «Wir brauchen beides, denn Architektur kann ganz konkret Pflege unterstützen und entlasten.» Ihr Wunsch: Gemeinsame Forschungsansätze und einen fachübergreifenden Lehrstuhl.

Service:

Birgit Dietz: Demenzsensible Architektur. Planen und Gestalten für alle Sinne. Fraunhofer IRB Verlag. 247 Seiten, 49 Euro. ISBN-13: 978-3-7388-0032-6

Fotocredits: Peter Kneffel
(dpa)

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