Bremerhaven – Es ist keine normale Weserrundfahrt, zu der die MS Geestemünde an diesem ungemütlich Frühlingstag in Bremerhaven startet.
Die über 100 Menschen an Bord haben eine Gemeinsamkeit: Sie alle haben einen Angehörigen verloren – und der fand in der Nordsee vor Bremerhaven seine letzte Ruhe. Nun wollen die Hinterbliebenen zum Ort der Seebestattung, um den Toten nahe zu sein.
Zwei Mal im Jahr startet die MS Geestemünde zu einer solchen Gedenkfahrt. Diesmal sind Jutta Duddeck und Cordula Haacker mit an Bord. Haackers Ehemann wurde erst vor kurzem auf See bestattet. «Ich bin sehr dankbar, dass ich wieder zu dem Ort darf», sagt sie. Die Freundinnen haben Rosen dabei, um sie an der Beisetzungsstelle ins Wasser zu werfen.
Jutta Duddeck gedenkt ihrer vor zwei Jahren verstorbenen Mutter, die sich bewusst für eine Seebestattung entschieden hatte. «Jeder aus unserer Familie will das», sagt die 59-Jährige. «Eine Seebestattung ist feierlich und viel schöner als in einer Kapelle.» Außerdem würde sie niemandem die Pflege für ein Grab zumuten wollen, sagt die Bremerhavenerin.
So wie Jutta Duddeck denken immer mehr Menschen. Feuerbestattungen liegen im Trend, und auch Seebestattungen werden häufiger nachgefragt. Nach Schätzungen des Bundesverbandes Deutscher Bestatter finden jährlich 20 000 Verstorbene ihre letzte Ruhe in Nord- oder Ostsee. Vor einigen Jahren waren es nur halb so viele.
Gründe für eine traditionelle Seebestattung gibt es zahlreiche. «Die meisten hatten einen Bezug zum Wasser», sagt Hartmut Minßen, der die Seebestattungen auf der MS Geestemünde organisiert. Aber auch der finanzielle Aspekt spielt bei vielen eine Rolle. «Die Seebestattung ist eine kostengünstige Alternative zur Erdbestattung», sagt Svenja Sturm von der Seebestattungs-Reederei Albrecht in Harlesiel.
Die steigende Nachfrage macht sich auch für ihren Arbeitgeber bemerkbar. «Wir fahren täglich raus, von Montag bis Sonntag», sagt Svenja Sturm. Vor rund zehn Jahren waren es noch ein bis zwei Seebestattungen pro Woche ab Harlesiel. Manche Verstorbene waren Wassersportler, andere einfach nur gerne am Meer. Die Angehörigen bekommen einen Seekartenausschnitt, auf dem die Position der Urnenbeisetzung markiert ist.
Weil Hinterbliebene auch an Land einen Ort zum Trauern benötigen, gibt es inzwischen immer mehr Erinnerungsstätten. Als eine der ersten hatte die Stadt Wilhelmshaven 2011 den Gedenkort «Seefrieden» eröffnet. An Holzstelen mit Blick aufs Wasser können Angehörige Schilder mit dem Namen von Verstorbenen anbringen lassen, die auf See bestattet wurden. In Harlesiel bietet eine Brücke der Erinnerung eine Möglichkeit zum Trauern. «Sie ist exakt auf das Beisetzungsgebiet zwischen Spiekeroog und Wangerooge ausgerichtet», sagt Svenja Sturm.
Nach eineinhalb Stunden Fahrt hat die MS Geestemünde den Ort erreicht, an dem die Urnen bei den Seebestattungen ins Wasser gelassen werden. Das Schiff fährt drei Mal im Kreis, es schaukelt merklich, der Wind bläst mit Stärke sechs. Aus dem Lautsprecher schallt «The Rose» von Westlife. Die Angehörigen stehen an Deck, schauen aufs Wasser und werfen ihre mitgebrachten Rosen über die Reling. Die Blumen driften schnell auseinander, der Wellengang ist recht hoch. Jutta Duddeck hält Cordula Haacker im Arm. Für beide ist es ein bewegender Moment. Bevor es wieder zurück nach Bremerhaven geht, hupt das Schiff dreimal.
Die Gedenkfahrten der MS Geestemünde sind immer ausgebucht. «Das ist wie ein Friedhofsbesuch», sagt Minßen. Eine traurige Fahrt sei die Tour aber nicht. «Es ist eine ruhige, nette Veranstaltung.» Auf der Hinfahrt nehmen viele Kaffee und Kuchen zu sich, auf der Rückfahrt gibt es Bockwurst.
«Es ist sehr schön, dass man einen Punkt zum Trauern hat», sagt Jutta Duddeck. Bis zur Seebestattungsstelle muss sie dafür aber nicht immer fahren. «Ich kann mich überall ans Wasser stellen und an meine Mutter denken.»
Fotocredits: Carmen Jaspersen
(dpa)