Krankenkassen: Testsieger und andere Tricks

Bad Homburg – Mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen buhlen in Deutschland um Kunden. Der Wettbewerb wird härter, die Sitten rauer, davon ist die Wettbewerbszentrale im hessischen Bad Homburg überzeugt. Wenn die Beiträge wie vorhergesagt steigen, könnte es noch schlimmer werden.

2015 hat die Wettbewerbszentrale etwa 50 Beschwerden über Werbeaktionen von Krankenkassen bearbeitet, 2016 waren es im ersten Halbjahr bereits rund 40. «Die Fälle zeigen, dass im Krankenkassenbereich mit zunehmend härteren Bandagen um Mitglieder gekämpft wird», sagt Christiane Köber, die für den Gesundheitsbereich zuständige Geschäftsführerin.

Eine Betriebskrankenkasse warb beispielsweise mit einer Beitragsgarantie – und erhöhte später dann doch. Eine andere präsentierte ein Qualitätssiegel, in dessen Ranking sie vor Jahren mal vorne lag – aktuell aber nur auf Platz 47 zu finden ist.

Besonders häufig ist Köber zufolge, «dass die Kassen den Kunden nach der Kündigung Steine in den Weg legen». Wenn ein Mitglied kündigt, muss die alte Kasse ihm eine Kündigungsbestätigung ausstellen. Die braucht er, um sich bei einer neuen Kasse anzumelden. Doch das kann bisweilen dauern, wie Köber berichtet. Wenn eine Kasse sich zu lange bitten lässt, ist das aus Sicht der Wettbewerbszentrale eine «aggressive geschäftliche Handlung» und unzulässig.

Die meisten Beschwerden kämen von der Konkurrenz und nicht von Kunden, sagt Köber: «Für den Verbraucher ist das ausgesprochen schwer zu erkennen.» Wenn die Wettbewerbshüter etwas beanstanden, schicken sie der Kasse eine Unterlassungserklärung. Der Verstoß in der Vergangenheit werde nicht geahndet, sagt Köber, «aber wir sorgen dafür, dass es in Zukunft nicht wieder passiert».

Der
Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) spricht von Einzelfällen: «Wenn 117 Krankenkassen mit 70 Millionen Versicherten miteinander im Wettbewerb stehen, dann kann es passieren, dass eine Wettbewerbsregel von einer Krankenkasse anders interpretiert wird als von der Wettbewerbszentrale», sagt GKV-Sprecher Florian Lanz. «Wenn im Einzelfall tatsächlich Versicherte von einer Krankenkasse falsch behandelt werden, dann wurde das stets rasch abgestellt.»

Es gibt aber auch Fälle, in denen die Kassen auf stur schalten, wie Köber berichtet. «Dann ziehen wir vor Gericht.» Wie im Fall einer Betriebskrankenkasse, der das Landgericht Konstanz untersagte, seine laut Köber «mehr als eigenwillige» Kundenwerbungspraxis fortzusetzen. Andernfalls drohen jetzt 250 000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monate Haft (das Urteil vom 21. Juli ist noch nicht rechtskräftig).

Die Kasse hatte eine Telefonmarketingfirma beauftragt, potenzielle Kunden anzurufen. Auch wenn diese sagten, sie wollten keine neue Versicherung, bekamen mindestens acht Verbraucher eine schriftliche Bestätigung: «Wir freuen uns, Sie als neues Mitglied begrüßen zu dürfen!» Der Dienstleister verfasste sogar im Namen der angeblichen Neukunden Kündigungsschreiben und schickten es an deren alte Kassen.

In einem anderen Fall glaubten die Kunden, sie unterschrieben an der Türe eine Empfangsbestätigung für Infomaterial – in Wahrheit unterzeichneten sie die Kündigung ihrer alten Versicherung.

Es steht zu befürchten, dass der Wettbewerb noch härter wird: Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat angekündigt, dass viele Kassen den Zusatzbeitrag anheben werden. Es gibt den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, den sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilen. Und es gibt den Zusatzbeitrag, den einzelne Kassen erheben dürfen. Diesen müssen die Versicherten alleine tragen.

Zur Zeit liegt er bei rund einem Prozent des Einkommens. 2019 könnte er knapp zwei Prozent betragen, hatte die Chefin des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, im Juni vorausgesagt. Erhöht eine Kasse diesen Zusatzbeitrag, gilt ein Sonderkündigungsrecht.

Die für den Gesundheitsbereich zuständige Geschäftsführerin der Wettbewerbszentrale kann sich vorstellen, dass Tricksereien dann noch mal zunehmen: «Die Kassen, die dann über dem Durchschnitt liegen, werden sich was einfallen lassen müssen.»

Fotocredits: Achim Scheidemann
(dpa)

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