Launceston – Der Moment wäre perfekt, um die großen Geschichten der Ahnen zu erzählen. Rocky Sainty steht auf dem Gipfel des Wukalina, überblickt Wälder Buchten und das türkisfarbene Meer. Der 61-Jährige atmet schwer, er kommt nicht mehr oft auf diesen Hügel.
«Aus den Blüten der Banksien machen wir ein süßes Getränk», sagt er. Und die Zapfen der Kasuarinen könne man kochen und in Zucker rollen. Alles interessant. Aber nun, auf dem Granitgipfel, will Sainty der Schöpfungsmythos seiner Vorfahren partout nicht mehr einfallen. «Sorry», nuschelt er. «Gebe ich dir nachher ausgedruckt.»
Ein vergessenes Volk
Kennt man die Geschichte seines Volks, verwundert diese Gedächtnislücke nicht. In der Schule lernte Sainty, dass es auf Tasmanien keine Aborigines mehr gebe. Dabei sind die Palawa nicht tot. Ihre Gene leben in vielen Tasmaniern weiter. Und seit der kulturellen Renaissance, die 1995 mit dem Aboriginal Land Act begann, sind viele Palawa wieder stolz auf ihre Herkunft. Zu fragen, ob sie halbe Aborigines sind, empfinden sie als Beleidigung. Sie sagen: «Wenn du Milch in den Kaffee rührst, ist es immer noch Kaffee.»
Ein besonderes Tourismusprojekt
Seit 2018 können Reisende diese uralte Kultur nun kennenlernen, und das nicht in einem sterilen Museum, sondern draußen, wo die Ahnen lebten. Vier Tage wandert man entlang der Küste, schläft in einer Lodge im Busch, die von der Architektur traditioneller Hütten inspiriert ist – und lernt von Guides der Palawa.
«Dieses Projekt ist sehr wichtig», sagt Clyde Mansell. «Ich wollte immer eine Gelegenheit für unser Volk schaffen, auf eigenem Land das Wissen weiterzugeben.» Zehn Jahre kämpfte der Vorsitzende des Aboriginal Land Council of Tasmania für sein Projekt. Dann war der erste tasmanische Reiseveranstalter im Besitz von Aborigines geboren.
Ein romantisches Camp
Dass der Plan aufgehen könnte, ahnt man schon am ersten Abend. Denn Mansell hat den Ort für sein Basislager klug gewählt.
Von der Mündung eines Flusses stapft man in eine Bucht. Der Sand ist fein und weiß wie Schnee, dazu rund geschliffene Felsen gesprenkelt mit orangefarbenen Flechten. Jadegrüne Wellen brechen sich draußen an einem Riff. Die untergehende Sonne strahlt gegen dunkle Wolkenfronten an. Über einen Bohlenweg spaziert man durch die Dünen, von der kühlen Version der Südsee hinein in die Savanne.
Passend zur wilden Romantik sitzen die Gäste in Campingstühlen auf einer Holzterrasse am Lagerfeuer. Seltsam, dass die sechs Damen und Herren Klanghölzer schnitzen, Körbe aus Riedgräsern flechten und Trinkbeutel basteln, statt einen Sundowner zu schlürfen.
Sturmtaucher zum Abendessen
Zum Glück ist Carleeta Thomas eine geduldige Lehrerin – und ein Glücksfall für das Projekt. Die 19-Jährige weiß, wie man Krebse und Muscheln vom Meeresgrund hoch holt und Wallabys häutet. Wenn die Sturmtaucher zum Nisten einfliegen, kommt sie mit ihrer Familie auf Big Dog Island zusammen, um die Vögel mit bloßen Händen aus ihren Höhlen zu fangen, zu rupfen und zu kochen.
Guides und Gäste sitzen an einer langen Tafel in der Küche, reichen sich Lamm und Wallaby aus dem Ofen, dazu Kürbis, Brot und Bohnen. «Willst du gebratene Sturmtaucher probieren?», fragt Sainty. Klar, gerne. Der erste Eindruck: fette Gans mit leichter Seenote.
Komfort in der Wildnis
Der Name des Camps, Krakana Lumi, bedeutet in der Sprache Palawa Kani Ort der Ruhe. Nur die brechenden Wellen weit draußen sind zu hören. Fühlt sich an wie im Zelt – nur deutlich komfortabler.
Das gute Essen und das weiche Bett sind wichtig für den
Wukalina Walk. Schließlich bezahlen die Gäste, bisher überwiegend Australier, viel Geld für den Kurzurlaub. Und das offenbar gerne. In der vergangenen Saison gab es nur vier Termine, nun schon 23.
Es gibt noch viel zu tun
«Ich habe gesehen, wie Gäste durch diese Wanderung verändert wurden, wie sie weinten», sagt Gill Parssey, 55, die Managerin des Projekts. «Wir können weitere 50 Jahre auf Versöhnung warten. Oder wir bringen die Weißen hier zu uns raus.» Wie wichtig das immer noch ist, erfährt man am nächsten Morgen. Rocky Sainty führt zu einer Senke in den Dünen. «Hier kochten unsere Leute Krebse und Muscheln», erklärt er. «Das war unser Wohn- und Esszimmer.» Midden heißen diese heiligen Muschelhügel. Seit 1975 sind sie per Gesetz geschützt. Dennoch brettern weiße Australier weiter Geländewagen über sie hinweg. Und an der Westküste Tasmaniens hätten Vandalen uralte Felsbilder zerkratzt und mit Hakenkreuzen beschmiert. Oder heraus gemeißelt und verkauft.
Die Geschichte des Leuchtturms
Gemeinsam wandert die Gruppe weiter entlang der Dünen, ein kräftiger Wind bläst ins Gesicht. Bucht um Bucht, ein auf 17 Kilometer ausgedehnter Strandspaziergang.
Larapuna nannten die Palawa die riesige Bucht, heute ist sie als Bay of Fires bekannt. Denn der britische Seefahrer Tobias Furneaux sah hier viele Feuer brennen, als er 1773 die Küste entlang segelte. Auf einer Landspitze, Eddystone Point, bauten die Eroberer einen Leuchtturm für ihr eigenes Feuer – mitten auf einen der wichtigsten Midden. «Hier trafen sich die verschiedenen Stämme», erklärt Carleeta Thomas. «Das ist ein sehr besonderer Ort.»
Daher gab die Regierung die Landspitze 2006 als 40-Jahres-Pacht an die Palawa zurück. Das Haus des Leuchtturmwärters wurde als Unterkunft für Wanderer renoviert. Im Haus wartet schon eine Käseplatte vor dem Kamin. Und guter Wein. Die großen Geschichten der Ahnen wollen schließlich in einem schönen Rahmen erzählt werden.
Wukalina Walk
Anreise: Von Deutschland aus fliegt man mit einem Zwischenstopp nach Melbourne oder Sydney. Weiter mit einem Inlandsflug nach Launceston. Dort werden die Wanderer im Hotel abgeholt und in rund drei Stunden zum Startpunkt der Wanderung gefahren.
Reisezeit: Die Wanderung wird von April bis Oktober angeboten. Diese Monate gelten auch als die beste Reisezeit in Tasmanien.
Wandern: Die Vier-Tages-Tour ist nur als Pauschalpaket zu buchen. Die maximal zehn Teilnehmer werden von zwei Guides begleitet. Im Doppelzimmer kostet die Tour ohne Flüge 2495 australische Dollar pro Person (rund 1540 Euro). Buchung: www.wukalinawalk.com.au.
Informationen: www.discovertasmania.com.au
Fotocredits: Rob Burnett,Rob Burnett,Florian Sanktjohanser,Rob Burnett,Rob Burnett,Rob Burnett,Rob Burnett,Rob Burnett,Rob Burnett,Florian Sanktjohanser,Florian Sanktjohanser,Florian Sanktjohanser
(dpa)