Karlsruhe – Wie wollen wir sterben? So auf keinen Fall, sagt der 55 Jahre alte Thomas M., wenn er über den Tod seines Vaters vor fünf Jahren spricht. Mit einer Entzündung im Bauchraum kam der 74-Jährige in ein Ludwigsburger Krankenhaus.
Trotz Operation wurde nichts besser. Der alte Mann wollte nach Hause, dämmerte vor sich hin, ein Krankenhauskeim kam hinzu. Der Oberarzt ordnete eine weitere Operation an. «Warum das denn, mein Vater stirbt doch gerade?», fragte M.. Der Professor zuckte mit den Schultern. Nach Hause kam der Vater nicht mehr.
Ein typisches Szenario, findet die Medizinerin Jana Jünger, Leiterin des für Staatsprüfungen von Ärzten zuständigen Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP). «Dem Patienten geht es schlechter, weil er stirbt – das bleibt oft unbesprochen zwischen Arzt und Patient oder Angehörigem.» Die Folge: Unnötige Eingriffe, Operationen, kostspielige Leidenszeiten auf der Intensivstation während der letzten Lebenstage. Dabei will Umfragen zufolge so gut wie niemand im Krankenhaus sterben.
Doch immer noch viel zu oft passiert genau das. Laut Deutschem Evangelischen Krankenhausverband (DEKV) sterben 77 Prozent der Deutschen entweder in einer Klinik oder im Pflegeheim. Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts aus dem vergangenen Jahr war zwar der Anteil derer, die im Krankenhaus sterben, lange rückläufig. Er betrage nach Zahlen aus dem Jahr 2016 aber immer noch 46 Prozent und stagniere seitdem. «Das ist viel zu viel, da es nicht den Wünschen der Patienten entspricht», sagt Jünger. «Wenn hier besser kommuniziert würde, dann könnten wir diese Situation innerhalb von fünf Jahren deutlich verbessern.»
Dabei ist an sich die Versorgung sterbenskranker Menschen außerhalb von Krankenhäusern beispielsweise in Baden-Württemberg gut geregelt, sagt ein Sprecher des Sozialministeriums. «Die ambulante Versorgung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert und ist inzwischen auf einem guten Weg.» Neben ambulanten Hospizdiensten kümmerten sich sogenannte Teams der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) um sterbende Erwachsene und Kinder: «Die Abdeckung mit SAPV Teams in Baden-Württemberg beträgt über 90 Prozent», sagt der Sprecher.
Warum landen Patienten dann doch im Krankenhaus und sterben dort? Ein Grund ist, dass etwa Menschen mit unheilbaren Krebserkrankungen noch in den letzten Wochen ihres Lebens eine Therapie erhalten, anstatt nach Hause entlassen zu werden. Die Barmer Ersatzkasse geht aufgrund von Abrechnungsdaten zwischen 2012 und 2015 davon aus, dass etwa 15 Prozent dieser Krebspatienten sich in den letzten 30 Tagen ihres Lebens noch einer Chemotherapie unterziehen – meistens geschieht dies im Krankenhaus.
Eine anderer Grund könnte nach Worten von Angela Carollo vom Max-Planck-Institut in Potsdam sein, dass gerade Hochbetagte oft mit Atemwegserkrankungen ins Krankenhaus eingeliefert werden und dort binnen weniger Tage versterben. Oder es gibt keine Patientenverfügung: Angehörige sind unsicher, was zu tun ist, wollen keinen Fehler machen, der Wunsch des Patienten verhallt ungehört.
Doch sehr oft hakt es auch schlicht bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patient, wie Jünger erklärt. Sie plädiert dafür, Ärzte zu schulen und regelrecht mit ihnen zu üben, wie man mit Patienten am besten ihre Wünsche und Vorstellungen angesichts des herannahenden Todes besprechen kann. «Das muss implementiert werden in der Ausbildung und Weiterbildung. Diese Themen müssen wir in die Staatsprüfungen für Arzte bringen», betont sie.
«Krankheit und Wahrheitsmitteilung am Krankenbett, das ist immer ein Prozess», sagt dazu Benno Bolze, Geschäftsführer des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (dhpv). Für Patienten sei es nicht immer einfach zu entscheiden, ob eine Therapie noch sinnvoll sei oder nicht. «Übertherapie» pauschal zu kritisieren, ist dabei aus Sicht der Barmer aber nicht fair. «Es ist wichtig, dass Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidung mit eingebunden werden.» Außerdem sei auch im Krankenhaus ein würdevolles Sterben möglich.
«Die Zahl der älter werdenden Menschen steigt – wir werden ein hohes Maß an Hospiz- und Palliativversorgung benötigen», erläutert Bolze. «Und wir werden nie sagen können: Das ist erledigt, wir sind am Ziel.» Wichtig sei, dass Netzwerke geknüpft werden und gut funktionieren: Ambulante Betreuungsdienste, spezialisierte Teams zur palliativen Versorgung, Hospize et cetera – sie alle müssten zusammenarbeiten. Vor allem Altenheime bräuchten eine enge Anbindung an die palliativen Netzwerke. «Denn für den Bewohner ist dort das Zuhause und dort soll er dann auch sterben können.»
Finanzielle Zwänge und Fehlanreize im Gesundheitssystem wie nicht sinnvolle Eingriffe oder auch Therapien tragen laut Jünger erheblich dazu bei, dass Menschen um ein angemessenes Sterben gebracht werden. «Es kann nicht sein, dass der Mammon uns die Moral vorschreibt – beziehungsweise die ethische Vorstellung von Patientenrecht und Menschenwürde», sagte sie. «Wir müssen sagen: Das machen wir nicht aus Gründen der Patientensicherheit und Patientenwürde.»
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(dpa)