Oldenburg – Cindy strahlt, als sie mit ihrem Leih-Rollstuhl die Rampe hinunterfährt. «Das war voll cool», sagt die Zwölfjährige. «Ich habe es geschafft, über die Rampe zu fahren», freut sie sich.
Mitschülerin Nike übt in der Oldenburger Skatehalle Kurven an einer Schräge. Dass der Deutsche Meister und Ex-Weltmeister im
Rollstuhlskating, David Lebuser, an diesem Tag 24 Schülerinnen und Schülern das Rollstuhlskaten beibringt, finden die beiden Mädchen super.
Dass sie den Workshop gemeinsam mit behinderten Jungen und Mädchen einer anderen Schule machen, sehen sie als Bereicherung. «Ich finde es spannend», sagt Cindy. Ihre Erfahrungen wollen die Kinder und Jugendlichen in
Filmen festhalten und beim inklusiven Kurzfilmwettbewerb «ganz schön anders» einreichen.
Profi
David Lebuser zeigt inzwischen einer Gruppe von Schülern, wie man den Rollstuhl bedient. «Geht ein Backflip (Rückwärts-Salto) im Rollstuhl?», fragt ein Mädchen. «Es gibt sogar welche, die können einen doppelten Backflip», berichtet der 33-Jährige, dessen türkisfarbener Irokesenschnitt unterm Helm verschwunden ist. «Wir fangen jetzt erstmal sachte an – ohne Backflips.» Er zeigt den Jungen und Mädchen, dass sie schneller fahren, wenn sie ihren Oberkörper nach vorne lehnen. Er führt vor, wie man bremst und sich im Rollstuhl auf der Stelle dreht. Dann geht es los zur ersten Rampe. «Wie sollen wir das schaffen?», flüstert ein Mädchen.
Angst vor der großen Rampe
«Ich habe Angst», gibt die 16-jährige Miriam zu. «Ich mag das nicht.» Der 17-Jährige Kenan, der wegen einer Behinderung auf den Rollstuhl angewiesen ist, strahlt dagegen übers ganze Gesicht. «Das ist gut», sagt er. Immer wieder lässt er sich auf die Rampe schieben, um hinunterzurollen. Miriam wird im Laufe des Vormittags mutiger. «Es geht», antwortet sie nach rund 20 Minuten Training auf die Frage, wie es ihr gefällt. Nach einer Stunde sieht sie fröhlich aus. «Es macht Spaß», sagt sie. «Vor den großen Rampen habe ich schon noch Angst, vor den kleinen gar nicht mehr.» Der zwölfjährige Lennard fährt indes munter auf den Hinterrädern des Rollstuhls durch die Halle.
Die noch junge Sportart Rollstuhlskaten gewinnt in Deutschland an Beliebtheit. «Die Szene wächst langsam und stetig», sagt Patrick Krause, der beim Deutschen Rollstuhl-Sportverband den Fachbereich Rollstuhlskaten leitet, der in der Szene WCMX (Wheelchair Motocross) genannt wird. Ihm zufolge gibt es inzwischen rund 120 Sportlerinnen und Sportler, die regelmäßig trainieren. «Der Jüngste ist vier Jahre alt, der Älteste über 60», berichtet Krause. Er sieht in der Sportart ein Sinnbild der Inklusion. «Skaten ist trendy bei jungen Menschen. Der Rollstuhlfahrende kommt einfach hinzu.»
Für David Lebuser, der seit einem Unfall im Jahr 2008 querschnittsgelähmt ist, war Rollstuhlskaten eine Art Rettung. «Ich habe darin etwas gefunden, was ich mit großer Leidenschaft machen konnte», erzählt er. Der Sport habe ihm geholfen, sein Leben gut zu bestreiten. «Der Rollstuhl war von Anfang an eine zweite Chance – wieder Freiheit, wieder sich bewegen können. Denn die schlimmste Zeit war nach dem Unfall, im Bett zu liegen und überall Hilfe zu brauchen.»
Als er ein Video über den US-amerikanischen Rollstuhlsportler Aaron Fotheringham sah, der den Backflip beherrscht, war er beeindruckt und begann zu trainieren. Einige Jahre später skatete Lebuser mit anderen Rollstuhlfahrern in den USA. Zurück in Deutschland setzte er sich zusammen mit dem Deutschen Rollstuhl-Sportverband dafür ein, die Sportart bekannter zu machen. «Wir haben angefangen, Workshops anzubieten. Das ist gut angekommen. In diesem Jahr hatten wir die Weltmeisterschaft zum ersten Mal nicht in den USA, sondern in Köln.»
Eigenes Können erkennen
Aus Sicht der früheren Deutschen WCMX-Meisterin, Lisa Schmidt, bewirkt Rollstuhlskaten viel. «Es geht nicht nur um den Sport, sondern auch darum, dass die Rollstuhlfahrer merken: Ich kann was.» WCMX habe ihr geholfen, den Rollstuhl als etwas Cooles zu sehen, sagt die 32-Jährige mit schwarz-lila-gefärbten Haaren und Nasenpiercing. Über WCMX hat sie David Lebuser kennengelernt, ihren Lebenspartner.
Die Politik sieht Sport als große Chance, wenn es um Inklusion geht. «Sport verbindet und baut Brücken zwischen Menschen», sagt Pascal Kübler vom niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen verweist darauf, dass gemeinsamer Sport den Blick auf Menschen mit Behinderungen verändern kann – weg vom Defizit, hin zu den Potenzialen. «Ich würde mir mehr inklusive Sportmöglichkeiten und -Angebote wünschen», sagt Jürgen Dusel.
Rollstuhlskater Lebuser mag genau das an seinem Sport. «Das Schöne am Skatepark ist, dass es wie eine kleine inklusive Welt ist», sagt er. Schon lange gebe es dort verschiedene Rollsportarten. «Da gehört der Rollstuhl genauso dazu.»
Fotocredits: Jörg Sarbach
(dpa)