Berlin – «So kannst du nicht rumlaufen!» Viele Teenager müssen sich diesen Satz anhören – und ältere Menschen manchmal auch, vor allem Frauen. Weil sie knallige Farben statt Beigetöne wählen zum Beispiel oder Schuhe mit hohen Absätzen statt flacher Bequemtreter.
«Es gibt tradierte Bilder, dass ältere Frauen sich optisch zurückzuziehen haben. Das haben viele verinnerlicht und erwarten es auch von anderen», erklärt Elke Giese. Die 69-jährige Trendforscherin und Modedesignerin aus Berlin leitete fast 20 Jahre lang das Ressort Mode beim Deutschen Mode-Institut.
Zugleich erreicht nun aber eine Generation das Seniorenalter, die so aktiv, fit und junggeblieben ist wie keine vor ihr. Und die deshalb auf gar keinen Fall alt aussehen möchte. In diesem Spannungsfeld als älterer Mensch seinen Modestil zu finden, ist gar nicht so leicht.
Der oft zitierte Spruch «Kleider machen Leute» hat in jedem Alter seine Berechtigung, ist Giese überzeugt. Wer etwa durch einen betont unauffälligen Stil optisch verschwindet, werde auch als Person weniger wahrgenommen. Das gilt besonders für die Farbe Beige.
Zu dem in Mitteleuropa vorherrschenden Hautton sei Beige «grundsätzlich keine gute Wahl: Es lässt die Konturen verschwinden, man wirkt weniger klar, weniger strukturiert», erklärt die Farb- und Stilberaterin Jasmin Link aus Stromberg (Rheinland-Pfalz).
Ein lockeres Verhältnis zu sich selbst entwickeln
Viele ihrer älteren Kundinnen kommen zu ihr in einer Phase, in der sich im Leben etwas verändert, erzählt Link. Wenn sie in Rente gehen zum Beispiel. «Sie wollen weiterhin aktiv und agil wirken.» Und sie merken gleichzeitig, dass sich der Körper verändert: die Haarfarbe, die Haut – und dass sich manches Kleidungsstück und mancher
Look früherer Jahre nicht mehr passend anfühlt.
«Man rutscht zusammen, am Hals, in der Taille. Die Arme sehen nicht mehr so schön aus», beschreibt Mode-Expertin Elke Giese. Es sei zwar nicht immer ganz leicht, die Veränderungen zu akzeptieren, es lohne sich aber. Denn: «Frauen sollten nicht zwanghaft versuchen, jünger auszusehen, das geht immer nach hinten los.» Ein lockeres Verhältnis zu sich selbst mache attraktiv – für Männer gelte dies übrigens auch.
Ganz praktisch bedeutet das: lieber eine leichte Leinenbluse mit Kragen anstelle eines ärmellosen Sommerkleids abziehen, lieber eine gerade Hose statt einer eng anliegenden Skinny-Jeans.
Die Farben dürften kontrastreich sein, «besonders zu grauen und weißen Haaren», ergänzt Jasmin Link. Das gelte in ähnlicher Weise für das Make-up: Zart nachgezeichnete Brauen und Lippenstift sorgen für Kontur. Und mit Rouge, das von der Mitte der Wangenknochen Richtung Schläfen verstrichen werde, lasse sich ein natürlicher Lifting-Effekt erzielen. Puder ist keine gute Wahl: Es setzt sich in Fältchen ab.
Auch ältere Männer sind in Stilfragen unsicher
Unsicherheit in Stilfragen beobachtet Trendforscherin Elke Giese nicht nur bei Frauen: «Viele Männer versuchen, mit den Jüngeren und deren starkem Körperkult zu wetteifern.» T-Shirts, Jerseyhosen oder nackte Beine – da seien «gruselige Dinge» zu sehen. Dabei gebe es auch für ältere Männer stilvolle Casual-Mode, etwa Polohemden.
Oft fehlen jedoch inspirierende Vorbilder, wenn Frauen oder Männer nach einem Stil suchen, der zum Lebensalter passt und nicht altbacken aussieht. Doch allmählich werden die Älteren sichtbarer. Die 97-jährige New Yorkerin Iris Apfel, die ihre Styles auf Instagram
postet, ist Kult. Ari Seth Cohen fotografiert den Streetstyle älterer Menschen in aller Welt und zeigt die Bilder in seinem
Blog.
Präsenz ist ein Geschenk des Älterwerdens
Gabriele Thiel-Hebborn aus Bonn ist eine der wenigen Ü60-Modebloggerinnen in Deutschland. Als «Gabriele immerschön»
schreibt die 61-Jährige seit 2015 auf, was sie bewegt und antreibt, und zeigt dazu ihren ganz persönlichen Look.
Modetrends hinterher zu hecheln, sei falsch, findet Thiel-Hebborn. Sie will auch kein modisches Vorbild sein – eher eine Mutmacherin für andere Frauen. «Präsenz, darum dreht sich alles bei Frauen in unserem Alter», sagt sie. «Diese Präsenz ist nur möglich, wenn ich bei mir bleibe. Das zu können, ist auch ein Geschenk des Älterwerdens.»
Fotocredits: Christin Klose,Elke Giese,Oliver Harborth,Gabriele Thiel-Hebborn
(dpa/tmn)