Hamburg – Lebensversicherungen sind in Deutschland weit verbreitet. Rund 84 Millionen Verträge gab es Ende 2017 nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) hierzulande. Sinkende Überschüsse und schlechte Renditen haben aber am Image des Produkts gekratzt.
Und auch für die Versicherer selbst ist das Geschäft angesichts niedriger Zinsen nicht mehr ganz so attraktiv. Manche Unternehmen haben das Neugeschäft mit kapitalbildenden Lebensversicherungen inzwischen eingestellt, einige verkaufen die Altpolicen an sogenannte Run-off-Firmen.
Was sollen Verbraucher nun tun? Den Vertrag kündigen? «Das ist nicht immer sinnvoll», sagt Bianca Boss vom Bund der Versicherten in Henstedt-Ulzburg bei Hamburg. «Denn oft ist das mit Verlusten verbunden.» In bestimmten Fällen können Kunden aber von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen.
Möglich ist das bei Kapitallebens- oder Rentenversicherungen, die zwischen 1995 und 2007 abgeschlossen wurden. Der Grund: Diese Verträge enthielten häufig fehlerhafte Widerspruchsbelehrungen.
Fehlerhaft ist eine Widerspruchsbelehrung zum Beispiel, wenn der notwendige Hinweis fehlt, dass der Widerspruch in Textform zu erheben ist. Außerdem müssen die Belehrungen in den Unterlagen optisch hervorgehoben sein. Ist das nicht der Fall, gilt laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) ein unbegrenztes Widerspruchsrecht.
Verbraucher können ihren Vertrag in diesen Fällen rückabwickeln, selbst wenn der Vertrag schon längst gekündigt wurde. Der Vorteil: Sie erhalten meist mehr Geld zurück als bei einer Kündigung, erklärt die
Verbraucherzentrale Hamburg. Denn nach einem
Widerspruch bekommen Versicherungsnehmer ihre eingezahlten Prämien plus Zinsen wieder. Nur die Summe für den Versicherungsschutz dürfen Versicherer einbehalten.
Ein Beispiel aus der Praxis der Verbraucherschützer zeigt, was das ausmachen kann: In dem Fall schloss eine Kundin 2004 eine Lebensversicherung ab, in die sie zehn Jahre lang insgesamt 14.500 Euro eingezahlte. Bei Kündigung betrug der Rückkaufswert 15.000 Euro. Der Widerspruch im Jahr 2018 brachte der Kundin eine Nachzahlung von fast 2500 Euro.
Wichtige Voraussetzung für einen Widerruf: «Sie brauchen Ihren Versicherungsschein», erklärt Boss. Denn dieser enthalte meist die Widerspruchsbelehrung. Ob die Klausel tatsächlich fehlerhaft ist, lässt sich mit einem Blick in die Unterlagen klären.
Laien stoßen hier ohne Hilfe aber schnell an ihre Grenzen: «Es gibt viele unterschiedliche Belehrungen», sagt die Hamburger Verbraucherschützerin Kerstin Becker-Eiselen. Denn die Versicherungen haben die Texte im Lauf der Jahre immer wieder geändert.
Schwierig wird es auch, wenn die Versicherung bereits gekündigt wurde. «Die Versicherer verlangen in diesem Fall in der Regel den Vertrag zurück», sagt Boss. «Deshalb lohnt es sich, die Unterlagen zu kopieren.» Wer das versäumt hat, braucht mindestens seine Versicherungsnummer, um seine Ansprüche geltend zu machen. «Ohne diese Angaben geht der Widerspruch meist nicht mehr.»
Nach Einschätzung von Becker-Eiselen machen es viele Versicherungen ihren Kunden nicht leicht, zu ihrem Geld zu kommen. «Oft lehnen die Konzerne berechtigte Rückabwicklungsansprüche einfach ab oder halten die Betroffenen monatelang hin.» Wer seine Ansprüche allein durchsetzen will, braucht deshalb Durchhaltevermögen.
Lehnt der Versicherer den Widerspruch ab, kann es sinnvoll sein, sich an den Ombudsmann für Versicherungen zu wenden. «Oft reagieren die Unternehmen dann schon ganz anders», hat Boss beobachtet. Der Vorteil für Verbraucher: Das Verfahren beim Ombudsmann ist kostenlos.
Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann sich auch an einen auf den Widerspruch von Lebensversicherungen spezialisierten Anwalt wenden. Eine andere Möglichkeit sind Firmen, die sich auf die
Rückabwicklung von solchen Verträgen spezialisiert haben. Der Haken hier: Mitunter werden für die Dienste ein Vorabhonorar oder mehr als 20 Prozent des finanziellen Vorteils verlangt.
Auch die Hamburger Verbraucherschützer bieten Hilfe gegen eine Gebühr an. Für bestimmte Policen startet die Verbraucherzentrale jetzt erstmals eine außergerichtliche Sammelaktion, um die Ansprüche von Versicherten gebündelt durchzusetzen. Damit – so die Hoffnung – erhalten betroffene Verbraucher schneller, was ihnen zusteht.
Fotocredits: Jens Büttner,VZHH,Bund der Versicherten e.V.
(dpa/tmn)